Mittwoch, 6. Juli 2011

Heinrich Sutermeister | Bergsommer




Heinrich Sutermeister | Bergsommer – Acht kleine Stücke für Klavier | Edition Schott ED 2881 | EUR 11,95

„Wie wir die Welt der Töne unserem Gegenwartsempfinden dienstlich machen wollen, das soll unser persönlichstes Anliegen bleiben. Aber auch hier gilt es, das Bildnis des Menschen musikalisch zu erwärmen und zu durchleuchten. Noch heute verfügen wir Komponisten über eine ungeheure Macht, die wir, zu getreuen Händen übernommen, beherrscht und weise auszuüben haben. Seien wir uns doch dieser Verantwortung bewusst und versuchen wir, die Verkrampfung in kurzsichtigen Machtpositionen und Gruppenbildungen, die das gegenwärtige Weltbild unheilvoll beherrschen, mit der Macht der Töne zu lockern und zu lösen.“

- Heinrich Sutermeister



Das ist eine Musik, die so recht aus der Zeit gefallen ist. Sie klingt ein wenig, als hätte ein deutscher Heimatfilmproduzent versehentlich einem Teilnehmer der Darmstädter Ferienkurse einen Kompositionsauftrag gegeben und der hätte sich auch redlich bemüht, die Anforderungen des Genres zu erfüllen – freilich ohne Erfolg.

Als dieses Klavieralbum 1940 erstmals erschien, lag Europa bereits im Krieg, rollten die ersten Züge in die Ghettos und Enrico Fermi legte in seinem Forschungslabor in Chicago die Grundlagen für den ersten Atombombenabwurf über Japan. Mit seinen idyllischen Schilderungen von „Bergbahn“ und „Abend auf der Alp“, von „Sennenball“ und „Geißenhirt“ wirkt diese Musik tatsächlich wie eine aus der Zeit gefallene Kostbarkeit. Eine Heimatmusik der subversiven Art, die munter Einflüsse der neuen Sachlichkeit mit naiver Postkartenromantik verbindet und auf unaufgeregte Weise ironisch wirkt. Oft muss man an Hindemith denken, etwa an dessen „Ouvertüre zum ‚Fliegenden Holländer‘ wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen spielt“. Manchmal scheinen tschechische Märchenfilmmusiken durchzuklingen. Und man wäre nicht überrascht, wenn mit einem Mal Conny Froboess, Peter Kraus und Heinz Erhardt durchs Bild liefen. Das passt dann schon.




Dienstag, 5. Juli 2011

Anton Ferdinand Titz | Sechs Streichquartette (1781)



Anton Ferdinand Titz
Sechs Streichquartette (1781)
Herausgegeben von Klaus Harer
Edition Gravis ED 1839-1 / EG 1839-2
EUR 29,80 je Band

Mit Anton Ferdinand Titz betritt ein weiteres Phantom der Musikgeschichte die kleine Bühne dieser Kolumne. Nur wenige biographische Daten aus dem Leben des russischen Hofvirtuosen sind durch Dokumente belegt. Geboren wurde er vermutlich um 1740 in Nürnberg, geigte im Orchester der Sebaldus-Kirche und verließ seine Heimatstadt, nachdem seine erste große Liebe auf wenig Widerhall traf. Um 1760 finden wir ihn in Wien, wo er alsbald die Bekanntschaft Christoph Willibald Glucks macht, dem der junge Musiker offensichtlich sympathisch ist und Titz in sein Opernorchester aufnimmt. Bei einer „musikalischen Akademie“ des Fürsten Lobkowitz wird der russische Staatsbeamte Pjotr Alexandrowitsch Sojmonow auf ihn aufmerksam und lud ihn nach Russland ein. 1771 ging Titz nach Sankt Petersburg.

Und dort besuchte ihn 1803 Louis Spohr. Geiger und Komponist wie Titz, allerdings jünger und smarter als der als „veraltert“ geltende Titz, der zu diesem Zeitpunkt schon den Ruf einer gewissen Eigenwilligkeit genoss. Da war Titz bereits tief in den Abgründen seiner manisch-depressiven Erkrankung versunken, versank oft wochenlang in Schweigen, fühlte sich von einem bösen Zauberer verfolgt, der ihm de Mittelfinger seiner linken Hand verhext habe, damit er nicht mehr geigen könne. Spohr hatte dafür nur ein spöttisches Lächeln übrig, wie für die als veraltet geltende Spielweise des Musikers. Doch über dessen Stellenwert als Komponisten ließ er keinen Zweifel aufkommen. „Ist nun Titz auch kein großer Geiger, noch weniger der größte aller Zeiten, wie seine Verehrer behaupten, so ist er doch unbezweifelt ein musikalisches Genie, wie seine Kompositionen hinlänglich beweisen“.

Eien Ansicht, die auch andere Musiker teilten: 1805 schrieb Korrespondent der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“: „Titz wohnt im Hause Teplows und genießt aller der Schonung und Sorgfalt, die jener unerklärliche Seelenzustand verlangt, und aller der Auszeichnung, die der im Adagio noch nicht übertroffene Künstler verdient.“

Die sechs hier vorgelegten Quartette sind vermutlich noch in Wien entstanden, wo sie 1781 auch (bei Artaria) erschienen sind. Titz erweist sich in Ihenn als Meister der musikalischen Form und spieltechnischer Finessen. Sprachlos macht den unvorbereiteten Hörer vor allem das unbändige d-moll-Quartett (Nr. 5), dessen zerrissener und tragischer Tonfall die Zeit von „Sturm und Drang“ bereits weit hinter sich lässt. Von besonderer Schönheit sind jedoch tatsächlich die „unübertroffenen“ Adagios: ganz gleich, ob in den Variationen des A-Dur-Quartetts (Nr. 2) oder den skurilen Launen des c-Moll-Quartetts (Nr. 3).

Die von Klaus Harer verantwortete Ausgabe bietet einen soliden Notentext auf der Basis neuester Erkenntnisse der Quellenforschung, ist sauber gesetzt und bietet problemlos spielbare Einzelstimmen mit guten Wendestellen und viel Platz für Bleistifteintragungen. Was will man also mehr?

Montag, 4. Juli 2011

Johann Sigismund Kusser, La cicala della cetra D’Eunomio



Johann Sigismund Kusser
La cicala della cetra D’Eunomio
Sechs Consortsuiten für 2 Oboen, Fagott, Streicher und B.c.
Herausgegeben von Michael Robertson
Edition Walhall EW 747
EUR 29,80

Der Trip nach Paris gehörte für jung deutsche Adelige des ausgehenden 17. Jahrhunderts zum festen Bestandteil ihrer Ausbildung, der „Grand Tour“. Sie stellte ursprünglich den Abschluss der Erziehung dar und sollte der Bildung des Reisenden den „letzten Schliff“ geben. Die jungen Männer suchten insbesondere bedeutende europäische Kunststädte auf reisten durch malerische Landschaften und sprachen an europäischen Fürstenhöfen vor. Dabei sollten sie Kultur und Sitten fremder Länder kennenlernen, neue Eindrücke sammeln und für das weitere Leben nützliche Kontakte knüpfen. Weiter diente die Tour der Vertiefung von Sprachkenntnissen sowie der Verfeinerung von Manieren, allgemein dem Erwerb von Weltläufigkeit, Status und Prestige. Gerade für adlige Reisende war es auch reizvoll, Lektionen französischer oder italienischer Fechtmeister in Anspruch zu nehmen oder sich mit fremden Tänzen vertraut zu machen. Besonders das höfische Zeremoniell Ludwigs XIV. und seines Kapellmeisters Lully war Gegenstand von Bewunderung und Nachahmung.

Dies hatte zur Folge, dass man – glücklich wieder heimgekehrt – auch von deutschen Hofmusikern verlangte, sich mit dem vor allem in Paris Gehörten vertraut zu machen, auf dass ein Hauch von Paris auch über die Tanzböden von Sigmaringen, Waldeck, Wittgenstein oder Berleburg wehe.

Auch in Ansbach, wo der 1660 in Pressburg geborene und in Paris ausgebildete Johann Sigismund Kusser die Hofkapelle befehligte, wurde aufwändig und langwierig geprobt, um den französischen Stil auch in Mittelfranken heimisch zu machen. Das ging nicht ohne Reibungsverluste ab, die „täglichen Exercitij“ in Sachen Bogenführung und Phrasierung gingen mindestens einem Musiker so sehr „gegen den Strich“, dass er um seine Entlassung bat.

Um welche Musik es sich dabei handelte, die unserem unbekannten Musiker so sehr missfiel, lässt sich anhand der schönen Neuausgabe der „Sechs Suiten“ in der Edition Walhall studiern, von denen nun die zweite erschienen ist. Der Einfluss Lullys ist unverkennbar: gravitätische Punktierungen in den langsamen Sätzen, fugierte Einsätze in den schnellen Passagen und das alles gehüllt in ein prächtiges und üppiges Gewand aus Klängen. Nur in harmonischer Hinsicht bricht bei Kusser – oder Jean Sigismond Cousser wie er sich nach seinem Frankreichaufenthalt nannte – immer wieder der Böhme durch. Bukolisches F-Dur, das an heiße Sommertage und endlose Weizenfelder erinnert und volksliedhafte Wendungen. Hier steht Cousser/Kusser ganz in mitteldeutscher Komponiertradition. Eine echte Entdeckung, für die man Herausgeber Michael Robertson dankbar sein darf.



Freitag, 1. Juli 2011

Isaak Ossipowitsch Dunajewski, Die Kinder des Kapitän Grant



Isaak Ossipowitsch Dunajewski
Die Kinder des Kapitän Grant (Ouvertüre)
Bearbeitung für Bläserquintett und KIavier von Vladimir Genin
Edition Sikorski ED 2412
EUR 26,-

„Die Kinder des Kapitän Grant“ ist ein fesselnder Abenteuerroman aus der Feder des großen französischen Romanciers Jules Verne. Die Geschichte von Lord Glenarvan und Lady Helena, von Major MacNabbs und den Kindern des Kapitän Grant, dem zwölfjährigen Robert Grant und der 16jährigen Mary Grant, lebt von schrecklichen Katastrophen, überraschenden Wendungen und wunderbaren Rettungen. Mit seinen stetig wechselnden Schauplätze und der Vielzahl der handelnden Figuren ist der Roman farbiger als manch anderer Roman Jules Vernes – dennoch ist er hierzulande verhältnismäßig unbekannt geblieben. In Russland hingegen kennt jedes Kind die Geschichte der geheimnisvollen Flaschenpost und der gestrandeten Ballonfahrer – zumindest in der Filmfassung von 1936, für die der vor allem in den zwanziger und dreißiger Jahren sehr erfolgreiche Isaak Dunajewski eine dramatisch-heroische Musik für Kinderchor und Orchester schrieb.

Für heutige Ohren klingt diese Musik und vor allem die Lieder, zeitgebunden und nostalgisch: so optimistisch-zuversichtliche könnte nur eine Jugend in die Zukunft marschieren, die die Schrecken von Stalinismus und Faschismus noch nicht bis zum Ende erlebt hatte. Weit ausschreitende Melodiebögen, pathetische Harmonien und ein hurtig dahinschreitender Marschrhythmus, der fabelhaft zu den optimistischen Bildern der Filmfassung passt.

Wer fünf Kammermusikfreunde hat und Lust verspürt, sich selbst auf musikalische Entdeckungsfahrt zu begeben, dem sei die kongeniale Kammermusikbearbeitung der Ouvertüre aus der Feder Vladmir Genins ans Herz gelegt. Ein bisschen „Holländer“, ein bisschen Prokofieff und ein ordentliche Prise sozialistischer Realismus – der Spaß bleibt nicht aus.