Dienstag, 26. Juni 2012

Fabio Nieder | Vom Himmel hoch, da kommt ein Engel her zu Dir …

„Während des Klavierstücks sieht man ein Lichtlein, das von oben sehr langsam heruntersteigt. Gleichzeitig mit dem letztenKlavierton erreicht das kleine Licht den Fußboden und verschwindet. Ad lib.: Ein Schlagzeuger mit dem Semanterion alias Holzblock. Amen.“

Fabio Nieder, Spielanweisung zur halbszenischen Aufführung von „Vom Himmel hoch“


Schön zu sehen, dass es auch in der hermetischen Welt der Neuen Musik ein Verlangen nach Romantik gibt! „Vom Himmel hoch, da kommt ein Engel her zu dir“ erfreut zunächst durch seine schöne Umschlaggestaltung und irritiert danach durch die fast unlesbare Handschrift des Komponisten, die stark an die Cartoons des Titanic-Zeichners Chlodwig Poth („Last Exit Sossenheim“) erinnert. Und obwohl die eingangs zitierte Spielanweisung zur halbszenischen Aufführung zum Schmunzeln einlädt, ist dieses kurze – im Übrigen wirklich zauberhafte – Stück vollkommen ernst gemeint.

 „Vom Himmel hoch ...“ schildert, wie sich ein Engel der Erde nähert, sie für einen Augenblick berührt und wieder davonfliegt in den Himmel. Langsam entschwindet er in eine bessere Welt und lässt die Zuhörer beglückt und voller Sehnsucht zurück. Die Musik ist still, sehr ruhig und leicht, so dass ein einzelner Ton beinahe schon zu schwer ist. Ein Kind könnte das spielen. Mit seiner Naivität und seinem Humor erinnert mich diese Musik an die weihnachtlichen Erzählungen von Jostein Gaarder und vor allem Felix Timmermann.

Auch das zweite hier vorgestellte Stück pflegt eine introvertierte Ästhetik. Zwar steigt hier kein Lichtlein vom Himmel herab, dafür bilden die Außenstimmen aber einen (mit dem Ohr nicht wahrzunehmenden Spiegelkanon). Kaum hörbare Akkorde in extrem weiter Lage bilden ein genau definiertes rhythmisches Geflecht und auch hier sorgt das jeder Spielanweisung nachgestellte „AMEN.“ für heitere Irritationen. Den in den letzten dreihundert Jahren üblich gewordenen Spielanweisungen wie „tenuto“, „intensivo“ oder „tutta la forza“ fügt Nieder weitere Reizworte hinzu: „FREUND“, „Im Abglanz dessen, der neben uns ging“ oder „wie ein Auftakt, neues Leben fühlend“. Das erinnert an Satie, ohne dessen paradoxe Absurdität zu ereichen („Naiv, plump, zärtlich und schwer lustig“).

Die Musik von Fabio Nieder ist bei weitestem das Interessantes, das mir in jüngster Zeit untergekommen ist. Ich kennen keinen anderen zeitgenössischen Komponisten, dem es so mühelos gelingt, echte Spiritualität, Humor und eine entwaffnende Naivität mit kunstvoll gewirkten Techniken der Neuen Musik zu vereinen. Machen Sie sich selbst ein Bild...




Fabio Nieder
Vom Himmel hoch, da kommt ein Engel her zu Dir … und fliegt gen Himmel wieder | Verlag Neue Musik NM 11 294 | Leihmaterial
Requiem für einen Namen | Verlag Neue Musik NM 1378 | EUR 12,80




Montag, 25. Juni 2012

Claus-Steffen Mahnkopf | Le rêve d'ange nouveau


„Vielleicht wäre das ein Weg: kitschig sein und damit den Kitsch exorzieren und ad absurdum führen. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Übertreiben, leidenschaftlich sein. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Über die Stränge schlagen, die Musik mit Leben erfüllen, großen Emotionen Raum geben. Solange, bis die Wahrheit übrig bleibt.“ 

Moritz Eggert


In der Welt der Neuen Musik ist ein Streit um die wahre Richtung ausgebrochen. Das heißt, eigentlich war er nie weg und ist wahrscheinlich so alt wie das Feuilleton. Alle zehn Jahre kommt einer daher und schreibt ein Manifest, gibt eine neue ästhetische Stoßrichtung vor – einmal seriell, dann wieder spirituell – und in den nächsten Jahren schreiben junge und nicht mehr junge Komponisten kluge und sehr komplizierte Musik, die dann auf Festivals und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor ebenfalls sehr klugen (und manchmal sehr komplizierten) Komponisten aufgeführt und verhandelt wird. So muss sich niemand grämen, man kann Preise und Professuren verabreden und – bleibt unter sich.

Besonders in Deutschland führt die Neue Musik (mit großem N) ein bizarres Eigenleben. Nirgendwo ist die Zahl der Uraufführungen so hoch – und die Zahl der Wiederaufführungen so gering. Was natürlich zum Teil auch daran liegt, dass man für Uraufführungen Subventionen bekomme. Und auch, weil sich öffentliche oder private Mäzene lieber mit Uraufführungen schmücken.  Der allergrößte Teil der auf diese Weise entstandenen Musik ist natürlich schlecht, das war zu Bachs Zeiten nicht anders. Und während die Festgesellschaft hinter verschlossenen Türen über manieristisch anmutende Details debattiert, hören die übrigen „99 Prozent“ entweder Justin Bieber und den neuen Twilight-Soundtrack oder freuen sich auf Mozart-Symphonien im Abo-Konzert. Natürlich in Kompaniestärke und auf modernen Instrumenten gespielt – keine Experimente bitte...!

Claus-Steffen Mahnkopf, dessen ultrakomplexes und wie ein graphisches Kunstwerk anmutendes Klavierstück  „Le rêve d'ange nouveau“ hier verhandelt werden soll, hat 1998 ein Manifest veröffentlicht, in dem er gegen das Pfründe-Ssytem der Neuen Musik wettert und den Niedergang des Feuilletons beklagt. Außerdem verteidigt er die absolute Musik, das Werk, gegen Zitattechniken und die Wiederbelebung alter Stile, gegen die Neue Einfachheit und Performances. Hinter den Serialismus dürfe man nicht zurückfallen. An dem interessiert ihn freilich weniger die Reihentechnik, als die dahinter steckende Denkweise. Ausdruck entsteht nicht durch rhetorische Figuren (Hornrufe, Klagegesten), sondern muss – vereinfacht gesagt –  durch die Verdichtung musikalischer Prozesse gewonnen werden. Je mehr Ausdruck, desto komplexer die musikalische Faktur. In diesem Sinne ist auch Mahnkopfs 1999 komponiertes Klavierstück „Le rêve d'ange nouveau“ sehr ausdrucksvoll. Und kurioserweise sind es gerade die gestischen Momente, das rhetorische Material, das auf mich seine stärkste Wirkung entfaltet. Aber darüber müsste man mal an anderer Stelle diskutieren – vielleicht im Café Hengstler in Donaueschingen?

Claus-Steffen Mahnkopf | Le rêve d'ange nouveau (1999) | Edition Sikorski 8652 | EUR 21,-


Sonntag, 24. Juni 2012

Thomas Nathan Krüger | Positionen

Das Schöne bestimmt sich dadurch als das sinnliche Scheinen der Idee. Denn das Sinnliche und Objektive überhaupt bewahrt in der Schönheit keine Selbständigkeit in sich, sondern hat die Unmittelbarkeit seines Seins aufzugeben, da dies Sein nur Dasein und Objektivität des Begriffs und als eine Realität gesetzt ist, die den Begriff als in Einheit mit seiner Objektivität und deshalb in diesem objektiven Dasein, das nur als Scheinen des Begriffs gilt, die Idee selber zur Darstellung bringt.
G.F.W. Hegel

Das Kunstwerk hat keinen Gebrauchswert.

Oscar Wilde


Philosophische Gedanken in Musik ausdrücken – das erinnert doch stark an Franz Liszt, dessen Jubiläumsjahr gerade zu Ende gegangen ist. Und bei ihm hat es eigentlich nicht wirklich funktioniert. Gut, dass sich der 1985 geborene Krüger davon nicht abschrecken lässt: Sein neues Streichquartett besteht aus neun kurzen Sätzen, in denen historische Definitionen des Kunstbegriffs durch Philosophen wir Platon, Kant oder Benjamin musikalisch gedeutet werden wollen. Lassen wir den Komponisten selbst zu Wort kommen: „Positionen versucht, diese ästhetischen Haltungen musikalisch zu deuten, um dadurch zu einer eigenen Interpretation des heutigen Kunstbegriffes zu gelangen“.

Das liest sich erst einmal schrecklich theoretisch und ist hoffentlich nur Krügers, zum Zeitpunkt der Komposition gerade erst begonnenen Ausbildungsverhältnis an den Musikhochschulen von Weimar und Graz geschuldet. Man will es sich ja nicht mit den Professoren verscherzen...  

Krügers Musik ist erfreulich unideologisch, mit wachem Geist und einem Witz komponiert, der oft an Mauricio Kagel erinnert (mit dem sich Krüger unter anderem in seinem Stück „Mit Kind und Kagel“ auseinandergesetzt hat). In kompositinstechnischer Hinsicht ist hingegen alles vertreten, was Spaß macht: ein chaotisch wirkende und mit einer Vielzahl von Spielanweisungen versehene „Ouvertüre“ (nicht so schwer, wie sie auf den ersten Blick scheint) stellt die wichtigste Frage an den Anfang: „Was ist Kunst?“ „Ästhetische Ideen“ schweben ätherisch durch den Raum und erzegen durch locker aufgesetztes Flageolett, den konsequenten Verzicht auf Bewegung und „Tempo“ und ein bis zum Schluss aufgespartes „vibrato“ einen „rauschend fiebrigen gläsernen Klang“, der dem Topos mehr als angemessen scheint.

Und so geht es weiter: Jede Position nimmt sich eine der – leider nicht mit abgedruckten Definitionen – des Schönen, Guten und Wahren zum Anlass, um daraus musikalishe Funken zu schlagen. Wenn Schopenhauer sinniert: „Der Künstler ist der Spiegel der Menschheit und bringt ihr, was sie fühlt und treibt, zu Bewusstsein“, so nimmt Krüger dies zum Anlass, mit den musikalishen Konnotationen des Begriffs „Spiegel“ zu arbeiten. Oder im Sinne von „Reproduktion“ einen alten Kassettenrekorder einzusetzen... Oder das „sinnliche Scheinen der Idee“ mit extremen Steigerungen und abruptem Strönmungsabriss zu übersetzen. Schade, dass der folgende Satz schon auf einen verstorbenen Kollegen gemünzt ist – aber es sieht so aus, als könnte er auch auf Thomas Nathan Krüger zutreffen: „Auf den gebt acht, der wird in der Welt noch von sich reden machen“

Thomas Nathan Krüger | Positionen. Streichquartett | Verlag Neue Musik NM 1190 | EUR 24,80