Samstag, 24. August 2013

Max Bruch | Streichquintett Es-Dur





Natürlich, eine alte Handschrift.
Umberto Eco, Der Name der Rose


Ende des vergangenen Jahres ließ eine bescheidene Pressemeldung des Münchener Henle Verlags die Kammermusikwelt aufhorchen: das Londoner Auktionshaus Sotheby’s habe m 18. Mai 2006 eine neunzig Jahre alte Partitur versteigert, der musikalische Schatzjäger bereits eine ganze Weile hinterhergejagt haben: Max Bruchs Streichquintett in Es-Dur, das der Komponist zusammen mit zwei weiteren Kammermusikwerken für Streicher in den letzten beiden Jahren seines Lebens komponiert hatte. Die Spur dieser drei Werke – ein  Quintett in a-moll, das im Dezember 1918 fertiggestellt worden war und ein wenige Monate vor seinem Tod  beendetes Oktett – verlor sich jedoch rasch. Erst 1988 tauchten Partitur und Stimmen des a-moll-Quintetts und die Stimmen des Oktetts in der Musikbibliothek der BBC auf, wo sie 1937 zum letzten Mal gesichtet und gespielt worden waren. Nur das Es-Dur-Quintett blieb veschollen – bis es 1991 dem Bruch-Experten und –biografen Christopher Fifield von einem Privatsammler angeboten wurde. Warum es dann noch einmal 17 Jahre dauerte, bis das Werk endlich im Druck erscheinen konnte, wird ein wohlgehütetes Geheimnis der Herausgeber werden.

Die Musikgeschichte ist über Max Bruch umstandslos hinweggeschritten. Er war im Grunde ein Komponist der Romantik, ein Geistesbruder Mendelssohns und Schumanns mit einer musikalischen Ästhetik, die um 1860 so fest gefügt war, die von keiner neudeutschen oder gar Neuen Wiener Schule erschüttert werden konnte. Dass seine Musik während des sogenannten „Dritten Reiches“ mit einem Aufführungsverbot belegt wurde, weil man den strammen Deutschnationalen wegen seines „Kol Nidrej“ und seines „verdächtigen“ Nachnamens (Bruch/Baruch) für einen Juden hielt, gab seiner Reputation den Rest. Seine Werke sind (mit Ausnahme des populären Violinkonzertes) deutschsprachigen Raum weitgehend von den Spielplänen und Konzertprogrammen verschwunden – auch wenn sein Oratorium „Arminius“ in diesem Jahr aus naheliegenden Gründen öfter gegeben werden dürfte.

Mit seinem Es-Dur-Quintett scheint Bruch eine Bilanz seiner Karriere als Symphoniker zu ziehen – wie seine 1. Symphonie von 1868 beginnt auch das neue Opus mit einem ganz ähnlichen Orgelpunkt (auf Es) beginnt; aus den darüber liegenden Sechzehntelfiguren der zweiten Geige und ersten Bratsche grüßt das „Rheingold“-Vorspiel, mehr noch aber der Rhein seiner Heimatstadt Köln, der ja bekanntlich immer in Es-Dur klingt.  Auch andere Motive und Themen sind früheren Werken entlehnt: das lyrische Hauptthema des Finales findet sich bereits im Finale der 3. Symphonie von 1883 und auch das Doppelkonzert für Klarinette, Viola und Orchester von 1911 steuert ein Seitenthema bei.

Dennoch ist das von Michael Kube herausgegebene Quintett weit davon entfernt, eine bloße Zitatensammlung zu sein: der achtzigjährige Bruch erweist sich als vitaler und einfallsreicher Komponist und Meister des fünfstimmigen Satzes, der bei ihm immer durchsichtig und klangvoll klingt. Verhältnismäßig leicht zu spielen, findet sich das Es-Dur-Quintett bereits jetzt im Repertoire vieler Kammermusikformationen und dürfte sich rasch einen Platz in den Herzen des Publikums und begeisterter Amateure erobern.


Max Bruch
Streichquintett Es-Dur
Erstausgabe
Herausgegeben von Michael Kube
Vorwort von Christopher Fifield
G. Henle Verlag HN 844/ Hn 9844
Stimmensatz HN 844, EUR 26,- / Studienpartitur HN 9844, EUR 13,-



Donnerstag, 22. August 2013

Istvan Horvath-Thomas | Sportszenen – 6 Humoresken für Klavier solo




Istvan Horvath-Thomas ist 1948 im ungarischen Pecs geboren und hat dort zunächst Orgel und Klavier studiert,  später Komposition in Budapest. 1972 gastierte er mit einem Klaviertrio in Wiesbaden und kehrte– da war die Politik der Entspannung in Ungarn schon weit vorangeschritten – seiner Heimat endgültig den Rücken. Es folgten die üblichen Stationen eines Musikerlebens: Konzerte als Solist und Kammermusikpartner, Aufnahmen für Rundfunk und Schallplatte und ein paar Aufführungen seiner Werke. 1989 erhielt  er eine Auszeichnung für seine Sinfonietta für grosses Orchester und war zwei Jahre später Gast der Lettischen Philharmonie in Riga, wo sein Chorwerk Kreuzweg im Dom uraufgeführt wurde.

Wir finden  in seiner Musik Parallelen zur ungarischen Musik der Moderne – wobei hier eher das Vorbild Zoltán Kodály als Béla Bartók hervorscheint. Man spürt den versierten Praktiker und Pädagogen in jedem Takt  heraus:  Horvath-Thomas weiß, was auf dem Klavier gut klingt und auch für wenig erfahrene Klavierspieler zu machen ist. Seine musikalische Sprache ist tonal und übersichtlich; kein Akkord, den nicht auch bereits Robert Schumann verwendet hätte.

Sein schräger Humor, der ihn auch mit dem älteren Landsmann György Ligeti verbindet, erweist sich unter anderem in der Wahl seiner Titel: „Sportszenen“ und „Studien zur Verhaltensforschung“ – im post-post-modernen 21. Jahrhundert ist alles erlaubt.

Werfen wir einen Blick in die beiden Hefte:  „Sportszenen“, das ist komponiertes Olympia (weshalb wohl auch die Satzüberschriften in französischer Sprache mitgeteilt sind – dem seligen Baron de Coubertin zum Angedenken): klar, dass die linke Hand beim „Tischtennis“ beständige Sprünge von der einen auf die andere Seite der Klaviatur zu leisten hat (während die rechte in unbeirrten Sechzehnteln den Ball laufen lässt). Eine gewichtige Armada von vollgriffigen B-Dur-Akkorden lässt die „Ringer“ auftreten, der „100-meter-Schnelllauf“ ist selbstverständlich unter zehn Sekunden zu spielen, beim „Fechten“ heißt es auf Zack zu sein und die akzentuierten Sekundgriffe (wer denkt da nicht an den „Sekundanten“?) zielgenau zu setzen, bevor ein furioses Oktavengewitter den Eindruck erweckt, hier hätten die wattierten Florettfechter das Instrument gewechselt und prügelten stattdessen mit schottischen Zweihändern aufeinander ein. Ein großes Vergnügen für bewegungsaffine Pianisten und eine tolle Sammlung von Stücken für Unterricht und Vorspielabend. Für ein „richtiges“ Konzert eventuell etwas zu leichtgewichtig – aber wenn man es mit Rossini koppeln würde…

Die „Studien zur Verhaltensforschung“ scheinen für ein etwas jüngeres Publikum geschrieben zu sein. „Spiel mit dem Ball“, „Fahrt mit der Eisenbahn“, Traurig“, „Unbändig“, „Verzicht“, „Unruhe“ – das sind mehr oder minder die klassischen Sujets der Klavierpädagogik. Der erste Eindruck ist der eines bunten stilistischen Panoptikums: Anklänge an Jazz- und Pop-Harmonien durchziehen das „Ballspiel“, Schumann’sche Sperrigkeit begegnet uns in den eigenwilligen Synkopen der ausdrücklich als „Etüde“ gekennzeichneten „Unruhe“, volksliedhafte Melancholie mit hohem Balkan-Einschlag in „Traurig“ oder eine fröhliche „Dur-Feier“ in der „Fahrt mit der Eisenbahn“. Leichter zu spielen als die mittelschweren „Sportszenen“ eignen sie sich ebenfalls für den Unterricht und dürften nach einem Schüler am Ende des zweiten Jahres keine Rätsel mehr aufgeben.


Istvan Horvath-Thomas
Sportszenen – 6 Humoresken für Klavier solo (NM 773)
Studien zur Verhaltensforschung (NM 774)
Verlag Neue Musik
EUR 18,80 (NM 773) / EUR 9,50 (NM 774)



Dienstag, 20. August 2013

Apollon Musagete, A Multitude of Shades



 

„Wir probten gerade ein Streichquartett von Mozart, es war eine besonders entspannte Atmosphäre. Als wir danach die Instrumente noch einmal stimmten, habe ich in das Stimmen ein Bass-Pizzicato gespielt, die Viola ist eingestiegen, und schließlich haben die beiden Geiger begonnen, zu improvisieren. Durch diese natürliche Improvisation sind wir zu dem Stück gekommen!“

Piotr Skweres, Cellist des Apollon Musagete Quartetts


 „A Multitude of Shades“ ist ein passender Titel für ein Stück wie dieses, das in knapp fünf Minuten durch ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte springt und – nachzuhören und zu –sehen bei youtube – ein in die tausende gehendes Publikum

Für die Lieder ihrer neuen CDNight of Hunters“ ließ sich die US-amerikanische Popsängerin Tori Amos von Frederic Chopin, Franz Schubert, Eric Satie und anderen klassischen Komponisten inspirieren. In seiner Form einem klassischen Liederzyklus nachempfunden, lag es nahe, die Songs für Streichquartett zu arrangieren, um dem Album eine klassische Note zu verleihen.

Auf der Suche nach geeigneten Musikern stieß Amos’ Plattenfirma Universal Music auf das ebenfalls bei ihr unter Vertrag stehende Apollon Musagete Quartett. Der Funke zwischen Amos und dem Quartett sprang über, und bald entstand die Idee, mit dem neuen Album auf Tour zu gehen, wobei die Sängerin dem Quartett die Möglichkeit gab, in den Konzerten ein Solostück zu spielen. Darauf beschlossen die vier Musiker, ein Stück eigens für diese Tour zu komponieren.

Nach dem Improvisationsteil folgt ein irischer Jig, eine kleine Hommage an Tori Amos, ihr Vater war halb Schotte, halb Ire, sie selbst erwähnt immer wieder die Inspiration durch irische Musik. Doch auch die polnischen Wurzeln des Quartetts finden sich in der Komposition. Noch einmal Piotr Skweres:Nach dem Jig haben wir etwas versteckt und ein bisschen aus Spaß ein polnisches Kirchenlied eingebaut.“

Nun wird sich manches Quartett fragen: Ja, die Jungs von Apollon Musagete, die können ja auch spielen. Aber ist diese Partitur nicht viel zu schwer für unser eigenes Ensemble? Gut – spielen sollte man schon können. Vor allem aber muss man sich auf das Abenteuer einlassen, seine an Brahms und Mozart erprobte Spieltechnik einmal völlig gegen den Strich zu bürsten. Wer Spaß an musikalischem Schabernack hat und seine Geige auch schon einmal gern in den Irish Pub mitnimmt, der ist hier richtig!



Apollon Musagete
A Multitude of Shades
Streichquartett
Doblinger Musikverlag 36 101
EUR 21,95

Montag, 12. August 2013

Ignaz Pleyel, Trio in e-moll | Quartett in D-Dur




Lange hat es gedauert, bis sich der Blick der musikalischen Welt vom Zentrum der Musikgeschichte an die Peripherie verlagerte. Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzende Vergewisserung des musikalischen Erbes und die damit verbundene Wiederentdeckung jener Komponisten, die man etwas abschätzig als „Kleinmeister“ bezeichnete. Wer wollte neben Mozart und Haydn, Schumann und Brahms, Wagner und Bach schon bestehen? Inzwischen haben vor allem eine Großzahl hervorragender Aufnahmen sogenannter Spezialisten für „Alte Musik“ dafür gesorgt, dass wir nicht nur die Musik der Großmeister kennen, sondern auch die von Johann Baptist Vanhal, Michael Haydn und den Bachsöhnen Johann Christian und Carl Philipp Emanuel, von  Fanny Hensel und Heinrich von Herzogenberg. Wir lesen beispielsweise Telemann neu und erkennen in ihm allmählich den musikalischen Revolutionär, der die große Geste ebenso sicher beherrschte wie Händel, ohne jedoch wie dieser das gleiche Stück sechzig Mal zu schreiben. Ein Kleinmeister?

Vielleicht ist es einfach an der Zeit, der merkwürdig deutschen Unterscheidung in „große“ und „kleine“ Komponisten endgültig „Lebewohl“ zu sagen. Wie fragil diese Kategorisierung zu allen Zeiten war, lässt sich daran ermessen, dass selbst Joseph Haydn lange Zeit nur als „Nebenmeister“ Mozarts galt – und jener allerhöchstens einmal in der Jupitersymphonie „beinahe beethoven’sche Höhen“ erreichte.   

Ignaz Pleyel studierte bei Vanhal und Haydn, wurde 1777 Kapellmeister beim Grafen Erdödy, 1789 erster Kapellmeister am Straßburger Münster und 1792 Leiter der „Professional Concerts“ in London. 1795 übersiedelte er nach Paris, wo er eine Musikalienhandlung und 1807 die noch heute bestehende Klavierfabrik gründete. Er komponierte rund 60 Sinfonien, 60 Streichquartette, zwei Opern (eine davon – die „Fee Urgèle“ –  für Marionettentheater), etliche Kammermusikwerke und natürlich Kirchenmusik –das übliche Pensum eines Komponisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Was hat uns also Ignaz Pleyel, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr beinahe unbemerkt zum 250. Mal jährt, zu sagen? Eine ganze Menge, wenn man sich den von Peter Erhart vorgelegten Kammermusikwerken widmet: Wer ein so perfekt proportioniertes Rondo wie jenes aus dem Quartett in D-Dur zu schreiben in der Lage ist und dabei so viel Liebe zum überraschenden Detail verrät, der ist ein Meister aus eigenem Recht und kein Verfertiger musikalischer Dutzendware. Jeder dieser sechs Sätze ist eine Entdeckung: man staunt über die Logik und Stringenz, mit der Pleyel seine originellen Themen und Motive zu immer wieder neuen überraschenden Gesten und Wendungen kombiniert. Diese Musik wirkt so frisch wie an ihrem ersten Tag und demonstriert eindrucksvoll, dass nicht nur Haydn und Mozart sich auf die Kunst verstanden, drei oder vier vernünftige Leute sich miteinander unterhalten zu lassen. Und wenn Ihnen diese Empfehlung noch nicht reicht, lassen wir einem zeitgenössischen Kollegen das Schlusswort. 1784 schrieb der ein Jahr ältere Wolfgang Amadé Mozart seinem Vater über Pleyels Quartette: „Dann sind dermalen Quartetten heraus von einem gewissen Pleyel; dieser ist ein Scholar von Joseph Haydn. Wenn sie selbige noch nicht kennen, so suchen Sie sie zu bekommen. Es ist der Mühe werth. Sie sind sehr gut geschrieben, und sehr angenehm.“


Ignaz Pleyel
Trio in e für 2 Violinen und Violoncello
Herausgegeben von Peter Erhart
Partitur und Stimmen
Doblinger Diletto Musicale DM 1408
EUR 19,90

Quartetto in D für Flöte (Violine), Violine, Viola und Violoncello
Herausgegeben von Peter Erhart
Partitur
Doblinger Diletto Musicale DM 1409
EUR 13,90


Ursula Mamlok, Streichquartett Nr. 2




Die Lebensgeschichte von Ursula Mamlok steht exemplarisch für Millionen zerschnittener oder für immer beendeter Biographien aus dem tausendjährigen Reich. Im bürgerlichen Berliner Stadtteil Charlottenburg als Ursula Lewy geboren, in der Schillerstraße aufgewachsen und in der Pestalozzistraße zur Schule gegangen, ist bereits das junge Mädchen von der Musikwelt der Hauptstadt  fasziniert. 1939 flüchtet die jüdische Familie nach Amerika, wo Ursula nach einem langen und abenteuerlichen Weg in New York landet. Im August 1940 kam sie als 17-Jährige in Manhattan an. „New York war wie Berlin. Eine Großstadt, in der es jeden Abend Konzerte gab“, sagt sie, auch wenn sie sich die damals nicht leisten konnte. Sie trug noch dieselben Kleider, die sie aus Berlin mitgenommen hatte und sah aus wie ein Kind und nicht wie eine junge Frau, die ihr Glück suchte.

Zwei Jahre später hat sie so viel Geld gespart, dass sie sie ihre Familie nachholen kann. Aus Ursula Lewy wird Ursula Lewis – und wenig später Ursula Mamlok. Da hat sie Dwight Mamlok kennen gelernt, der eigentlich Dieter heißt und vor den Nazis aus Hamburg geflüchtet ist. Zwei deutsche Emigranten im amerikanischen Exil.  Komponistin will sie werden und erhält schließlich Kompositionsunterricht  bei einem anderen Berliner in New York, bei Stefan Wolpe, der ihr die Musik von Arnold Schönberg und Anton Webern aufschließt. Seitdem hat sie sich der 12-Ton-Musik verschrieben.

Im Jahr 2007 ist sei, hoch in den Achtziger, längst etabliert. Eine gefragte Komponistin und Lehrerin, die vor allem Kammermusik schreibt. Ihr neues Streichquartett ist eine Auftragskomposition der Harvard University und vereint amerikanische Ostküsteneleganz mit der seriellen Schreibweise der Wiener Schule. Der Charakter des Werkes ist eher heiter, dazu trägt auch der aufgelockerte Satz und die unaufgeregte Tonsprache zurück. Wenn jemals eine Musik Züge von Weisheit und Milde getragen hat, dann hier. Dies Musik muss nichts mehr beweisen, sie ist einfach da – auch wenn sich in das Larghetto der eine oder andere dunkle Unterton eingeschlichen hat.


Ursula Mamlok
Streichquartett Nr. 2
Edition Peters EP 67863
EUR 22,-