„Vielleicht wäre
das ein Weg: kitschig sein und damit den Kitsch exorzieren und ad absurdum
führen. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Übertreiben, leidenschaftlich sein. Bis
die Wahrheit übrig bleibt. Über die Stränge schlagen, die Musik mit Leben
erfüllen, großen Emotionen Raum geben. Solange, bis die Wahrheit übrig bleibt.“
Moritz
Eggert
In
der Welt der Neuen Musik ist ein Streit um die wahre Richtung ausgebrochen. Das
heißt, eigentlich war er nie weg und ist wahrscheinlich so alt wie das
Feuilleton. Alle zehn Jahre kommt einer daher und schreibt ein Manifest, gibt
eine neue ästhetische Stoßrichtung vor – einmal seriell, dann wieder spirituell
– und in den nächsten Jahren schreiben junge und nicht mehr junge Komponisten
kluge und sehr komplizierte Musik, die dann auf Festivals und im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor ebenfalls sehr klugen (und manchmal sehr
komplizierten) Komponisten aufgeführt und verhandelt wird. So muss sich niemand
grämen, man kann Preise und Professuren verabreden und – bleibt unter sich.
Besonders in Deutschland führt die Neue Musik (mit großem N) ein bizarres Eigenleben. Nirgendwo ist die Zahl der Uraufführungen so hoch – und die Zahl der Wiederaufführungen so gering. Was natürlich zum Teil auch daran liegt, dass man für Uraufführungen Subventionen bekomme. Und auch, weil sich öffentliche oder private Mäzene lieber mit Uraufführungen schmücken. Der allergrößte Teil der auf diese Weise entstandenen Musik ist natürlich schlecht, das war zu Bachs Zeiten nicht anders. Und während die Festgesellschaft hinter verschlossenen Türen über manieristisch anmutende Details debattiert, hören die übrigen „99 Prozent“ entweder Justin Bieber und den neuen Twilight-Soundtrack oder freuen sich auf Mozart-Symphonien im Abo-Konzert. Natürlich in Kompaniestärke und auf modernen Instrumenten gespielt – keine Experimente bitte...!
Claus-Steffen
Mahnkopf, dessen ultrakomplexes und wie ein graphisches Kunstwerk anmutendes
Klavierstück „Le rêve d'ange nouveau“
hier verhandelt werden soll, hat 1998 ein Manifest veröffentlicht, in dem er
gegen das Pfründe-Ssytem der Neuen Musik wettert und den Niedergang des
Feuilletons beklagt. Außerdem verteidigt er die absolute Musik, das Werk, gegen
Zitattechniken und die Wiederbelebung alter Stile, gegen die Neue Einfachheit
und Performances. Hinter den Serialismus dürfe man nicht zurückfallen. An dem
interessiert ihn freilich weniger die Reihentechnik, als die dahinter steckende
Denkweise. Ausdruck entsteht nicht durch rhetorische Figuren (Hornrufe,
Klagegesten), sondern muss – vereinfacht gesagt – durch die Verdichtung musikalischer Prozesse
gewonnen werden. Je mehr Ausdruck, desto komplexer die musikalische Faktur. In
diesem Sinne ist auch Mahnkopfs 1999 komponiertes Klavierstück „Le rêve d'ange
nouveau“ sehr ausdrucksvoll. Und kurioserweise sind es gerade die gestischen
Momente, das rhetorische Material, das auf mich seine stärkste Wirkung
entfaltet. Aber darüber müsste man mal an anderer Stelle diskutieren –
vielleicht im Café Hengstler in Donaueschingen?
Claus-Steffen Mahnkopf | Le rêve d'ange nouveau (1999) | Edition Sikorski 8652 | EUR 21,-
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