Dienstag, 25. Januar 2011

Komponieren gegen die Barbarei - Kammermusik von Franz Schmidt

Man muss sich Franz Schmidt wahrscheinlich als einen unglücklichen Menschen vorstellen. Trotz aller seiner beruflichen Erfolge: Mitglied der Wiener Philharmoniker, Solocellist der Wiener Hofoper, Professor für Klavier an der Wiener Musikakademie, deren Rektor er später wurde, gefeierter Komponist einer Oper „Notre Dame“, deren Zwischenspiel immer noch zum eisernen Bestand jedes Orchesterwunschkonzertes gehört… 
Zwei Jugendlieben blieben unerfüllt. Seine erste Frau dämmerte ab 1919 in der Wiener Heilanstalt „Am Steinhof“ dahin, um drei Jahre nach dem Tod des berühmten Gatten im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Kampagne ermordet zu werden. Die einzige Tochter Emma starb nach der Geburt ihres ersten Kindes. Der gebrochene Vater schuf danach seine 4. Symphonie als „Requiem für meine Tochter“.

Als Franz Schmidt sich schon auf das Sterben vorbereitete, marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein und streckte Reichspropagandaminister Goebbels auch seine Krallen nach dem 64-jährigen Komponisten aus, der nach dem Tod Alban Bergs und Franz Schrekers, der Emigration von Arnold Schönberg und Alexander Zemlinsky als der bedeutendste Komponist der „Ostmark“ galt. Das Regime „beehrte“ den mit dem Auftrag, eine Kantate zur Feier des „Anschlusses“ zu schreiben. Die „Deutsche Auferstehung“ wurde vom Regime eingefordert, der Komponist ließ das Werk jedoch unvollendet liegen und schuf noch zwei inspirierte Auftragswerke für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein: das Klarinettenquintett in A-Dur und die Toccata d-Moll – beendet im Sommer und Oktober 1938, wenige Monate vor seinem Tod.

Nun ist diese im doppelten Sinne bemerkenswerte Musik endlich in einer wunderschönen Notenausgabe erhältlich – und diese fördert wahre Wunderschätze zutage. Gleich drei Quintette für Klavier in der ungewöhnlichen Besetzung mit linker Hand allein (sie sind alle Paul Wittgenstein gewidmet) und Klarinettenquartett geschrieben; lediglich das 1926 entstandene G-Dur-Quintett stellt dem Klavier ein normales Streichquartett gegenüber.


Schmidts Stil lotet anmutig ein weites Feld aus, das zwischen Spätromantik, Historismus und böhmisch-ungarischer Volksmusik verortet ist. Es ist eine Musik der unvereinbaren Gegensätze, die gleichfalls empfindsam und distanziert klingen kann und ihre größten Empfindungen unter klassischen Formen verbirgt. Man ist versucht zu schreiben: Schmidt ist die diatonische Dependance der 2. Wiener Schule. Wer etwa das jüngst wieder häufig zu hörende Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ im Ohr hat, der wird diesen eigenartigen Stil sofort auch in den drei Quintetten wiedererkennen.


Der Beginn des A-Dur-Quintetts etwa mit seinen vorsichtig tastenden Trippelschritten, die gleichermaßen an Bruckners symphonische Scherzi als an eine Musik für einen tschechischen Zeichentrickfilm erinnern, findet in der Kammermusik so schnell kein Ebenbild. Und dem wunderbaren Variationensatz auf ein Thema von Josef Labor (dem Lehrer Paul Wittgensteins), bei dem man nicht weiß, ob man vor Glückseligkeit lachen oder weinen soll, wünscht man ganz schnell viele neue Freunde. Man spürt: hier komponiert einer gegen die Barbarei an und schließt das Tor zu einer besseren Welt leise hinter sich zu. Von nun wird es Nacht in Europa.


Notenausgaben
Quintett in A-Dur für Klavier linke Hand, Klarinette in A, Violine, Viola und Violoncello | Herausgegeben von Georg A. Predota | Josef Weinberger | ISMN 50083-328-4 | EUR 35,-


Quintett in B-Dur (1932) für Klavier linke Hand, Klarinette in B, Violine, Viola und Violoncello | Josef Weinberger | ISMN 50083-326-0 | EUR 33,-


QUINTETT in G-DUR (1926) für Klavier linke Hand, zwei Violinen, Viola, Violoncello | Josef Weinberger Verlag | ISMN 50083-325-3 | EUR 35,-

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