„Meine Musik muss kurz sein, knapp!! In zwei Noten nicht bauen, sondern
ausdrücken!! Die Musik soll Ausdruck der Empfindung sein, so wie die Empfindung
wirklich ist, die uns mit unserem Unbewussten in Verbindung bringt und nicht
ein Wechselbalg aus Empfindung und ‚bewusster Logik‘.“
Arnold Schönberg an Ferruccio Busoni
Als Schüler von Arnold Schönberg atmete auch Alban Berg
„Luft von anderen Planeten“. Fünf Jahre lang, von 1905 bis 1909 hatte Berg bei
dem älteren Kollegen regelmäßig Theorie- und Kompositionsunterricht erhalten. Die
Klaviersonate op. 1 bildete den Abschluss dieser Studien, deren Uraufführung
jedoch kein großer Erfolg beschieden war. Ihr folgten noch zwei weitere Werke,
die Lieder op. 2 nach Texten von Hebbel und Mombert sowie das Streichquartett
op.3. Danach geriet Bergs kompositorisches Schaffen ins Stocken –
möglicherweise, weil der 25jährige von der Aufgabe in Anspruch genommen war,
Klavierauszügen zu Schönbergs Gurreliedern und Franz Schrekers Oper Der ferne
Klang für die Universal Edition anzufertigen. Sicherlich spielten aber auch
innere Beweggründe eine Rolle: die unbeachtet gebliebene Uraufführung der
Klaviersonate, der Wegzug seines Lehrers und Mentors Arnold Schönberg von Wien
nach Berlin und vielleicht auch das Gefühl, seinen eigenen Tonfall noch nicht
gefunden zu haben.
Erst nach dreijähriger Pause schlossen sich 1913 die
nächsten beiden Werke an: die Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von
Peter Altenberg und die hier vorgelegten Vier Stücke für Klarinette und
Klavier, mit denen Berg endgültig seinen eigenen Tonfall fand.
In ihrer konzentrierten Form erinnern die Vier Stücke
durchaus an Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke op. 6, mit denen sie die
Tendenz teilt, musikalische Gedanken auf nur wenige Takte zu reduzieren und
steht damit in starkem Kontrast etwa zu Bergs Klaviersonate, die zwar weitgehend
freitonal gehalten ist, mit ihrer überwuchernden Expressivität jedoch immer
noch dem Geist der Spätromantik atmet und an weiten Stellen eher wie der
Klavierauszug eines Orchesterwerkes anmutet.
In den Vier Stücken ist davon nichts mehr zu spüren –
freilich auch nichts von der trockenen Aphoristik Schönbergs. Bergs Musik wirkt
durch die Verwendung von Ostinati, akkordischen Wiederholungen und eine mehr
angedeutete als konsequent durchgehaltene Reihenthematik emotionaler und in
„sich ruhend“. Gleichzeitig verweigert sie sich jeder Gefühlsäußerung, die als
romantisch empfunden werden könnte. Diese Musik scheint weder Anfang noch Ziel
zu kennen, sie ist buchstäblich, wie es Bergs späterer Schüler Theodor W.
Adorno formulierte, „Musik aus nichts.“
Mehr noch als die formale Ästhetik des Werkes scheint Bergs
ungewöhnliche Behandlung der Klarinettenregister die Zeitgenossen überfordert
zu haben: für Flageoletts, Flatterzunge im dreifachen Forte und in de der
tiefen Lage und ähnliche Spieltechniken war die Zeit wohl erst nach dem Ende
des 1. Weltkriegs reif. Nach der Uraufführung im Oktober 1919 kam jedoch die
Serie erfolgreicher Aufführungen für den Komponisten Alban Berg ins Rollen –
bis dieser mit der 1923 erfolgten Uraufführung seines Streichquartetts (wenige
Jahre vor „Wozzeck“) der Durchbruch kam.
Die von Ulrich Scheideler besorgte Edition folgt im
Wesentlichen der von Alban Berg mit Korrekturen versehenen 2. Auflage der in
der Universal-Edition erschienenen Erstausgabe, mit ihrem angenehm ins Auge fallenden
Druckbild und einer geschickten Disposition der Systeme (Nummer 3 lässt sich
sogar auf drei Seiten ausklappen, um ein Blättern überflüssig zu machen) eignet
sich die Henle-Ausgabe gleichermaßen für den Forscher wie für den Praktiker.
Alban Berg
Vier Stücke op. 5
Klarinette und Klavier
Herausgegeben von Ulrich Scheideler
G. Henle Verlag
HN 820
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