Montag, 12. August 2013

Alban Berg, Vier Stücke op. 5 für Klarinette und Klavier





„Meine Musik muss kurz sein, knapp!! In zwei Noten nicht bauen, sondern ausdrücken!! Die Musik soll Ausdruck der Empfindung sein, so wie die Empfindung wirklich ist, die uns mit unserem Unbewussten in Verbindung bringt und nicht ein Wechselbalg aus Empfindung und ‚bewusster Logik‘.“

Arnold Schönberg an Ferruccio Busoni

Als Schüler von Arnold Schönberg atmete auch Alban Berg „Luft von anderen Planeten“. Fünf Jahre lang, von 1905 bis 1909 hatte Berg bei dem älteren Kollegen regelmäßig Theorie- und Kompositionsunterricht erhalten. Die Klaviersonate op. 1 bildete den Abschluss dieser Studien, deren Uraufführung jedoch kein großer Erfolg beschieden war. Ihr folgten noch zwei weitere Werke, die Lieder op. 2 nach Texten von Hebbel und Mombert sowie das Streichquartett op.3. Danach geriet Bergs kompositorisches Schaffen ins Stocken – möglicherweise, weil der 25jährige von der Aufgabe in Anspruch genommen war, Klavierauszügen zu Schönbergs Gurreliedern und Franz Schrekers Oper Der ferne Klang für die Universal Edition anzufertigen. Sicherlich spielten aber auch innere Beweggründe eine Rolle: die unbeachtet gebliebene Uraufführung der Klaviersonate, der Wegzug seines Lehrers und Mentors Arnold Schönberg von Wien nach Berlin und vielleicht auch das Gefühl, seinen eigenen Tonfall noch nicht gefunden zu haben.

Erst nach dreijähriger Pause schlossen sich 1913 die nächsten beiden Werke an: die Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg und die hier vorgelegten Vier Stücke für Klarinette und Klavier, mit denen Berg endgültig seinen eigenen Tonfall fand.

In ihrer konzentrierten Form erinnern die Vier Stücke durchaus an Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke op. 6, mit denen sie die Tendenz teilt, musikalische Gedanken auf nur wenige Takte zu reduzieren und steht damit in starkem Kontrast etwa zu Bergs Klaviersonate, die zwar weitgehend freitonal gehalten ist, mit ihrer überwuchernden Expressivität jedoch immer noch dem Geist der Spätromantik atmet und an weiten Stellen eher wie der Klavierauszug eines Orchesterwerkes anmutet.

In den Vier Stücken ist davon nichts mehr zu spüren – freilich auch nichts von der trockenen Aphoristik Schönbergs. Bergs Musik wirkt durch die Verwendung von Ostinati, akkordischen Wiederholungen und eine mehr angedeutete als konsequent durchgehaltene Reihenthematik emotionaler und in „sich ruhend“. Gleichzeitig verweigert sie sich jeder Gefühlsäußerung, die als romantisch empfunden werden könnte. Diese Musik scheint weder Anfang noch Ziel zu kennen, sie ist buchstäblich, wie es Bergs späterer Schüler Theodor W. Adorno formulierte, „Musik aus nichts.“
Mehr noch als die formale Ästhetik des Werkes scheint Bergs ungewöhnliche Behandlung der Klarinettenregister die Zeitgenossen überfordert zu haben: für Flageoletts, Flatterzunge im dreifachen Forte und in de der tiefen Lage und ähnliche Spieltechniken war die Zeit wohl erst nach dem Ende des 1. Weltkriegs reif. Nach der Uraufführung im Oktober 1919 kam jedoch die Serie erfolgreicher Aufführungen für den Komponisten Alban Berg ins Rollen – bis dieser mit der 1923 erfolgten Uraufführung seines Streichquartetts (wenige Jahre vor „Wozzeck“) der Durchbruch kam.
Die von Ulrich Scheideler besorgte Edition folgt im Wesentlichen der von Alban Berg mit Korrekturen versehenen 2. Auflage der in der Universal-Edition erschienenen Erstausgabe, mit ihrem angenehm ins Auge fallenden Druckbild und einer geschickten Disposition der Systeme (Nummer 3 lässt sich sogar auf drei Seiten ausklappen, um ein Blättern überflüssig zu machen) eignet sich die Henle-Ausgabe gleichermaßen für den Forscher wie für den Praktiker.


Alban Berg
Vier Stücke op. 5
Klarinette und Klavier
Herausgegeben von Ulrich Scheideler
G. Henle Verlag
HN 820


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