Natürlich, eine alte Handschrift.
Umberto Eco, Der Name der Rose
Ende des vergangenen Jahres ließ eine bescheidene
Pressemeldung des Münchener Henle Verlags die Kammermusikwelt aufhorchen: das
Londoner Auktionshaus Sotheby’s habe m 18. Mai 2006 eine neunzig Jahre alte
Partitur versteigert, der musikalische Schatzjäger bereits eine ganze Weile
hinterhergejagt haben: Max Bruchs Streichquintett in Es-Dur, das der Komponist
zusammen mit zwei weiteren Kammermusikwerken für Streicher in den letzten
beiden Jahren seines Lebens komponiert hatte. Die Spur dieser drei Werke –
ein Quintett in a-moll, das im Dezember
1918 fertiggestellt worden war und ein wenige Monate vor seinem Tod beendetes Oktett – verlor sich jedoch rasch.
Erst 1988 tauchten Partitur und Stimmen des a-moll-Quintetts und die Stimmen
des Oktetts in der Musikbibliothek der BBC auf, wo sie 1937 zum letzten Mal
gesichtet und gespielt worden waren. Nur das Es-Dur-Quintett blieb veschollen –
bis es 1991 dem Bruch-Experten und –biografen Christopher Fifield von einem
Privatsammler angeboten wurde. Warum es dann noch einmal 17 Jahre dauerte, bis
das Werk endlich im Druck erscheinen konnte, wird ein wohlgehütetes Geheimnis
der Herausgeber werden.
Die Musikgeschichte ist über Max Bruch umstandslos
hinweggeschritten. Er war im Grunde ein Komponist der Romantik, ein Geistesbruder
Mendelssohns und Schumanns mit einer musikalischen Ästhetik, die um 1860 so
fest gefügt war, die von keiner neudeutschen oder gar Neuen Wiener Schule
erschüttert werden konnte. Dass seine Musik während des sogenannten „Dritten
Reiches“ mit einem Aufführungsverbot belegt wurde, weil man den strammen
Deutschnationalen wegen seines „Kol Nidrej“ und seines „verdächtigen“
Nachnamens (Bruch/Baruch) für einen Juden hielt, gab seiner Reputation den
Rest. Seine Werke sind (mit Ausnahme des populären Violinkonzertes)
deutschsprachigen Raum weitgehend von den Spielplänen und Konzertprogrammen
verschwunden – auch wenn sein Oratorium „Arminius“ in diesem Jahr aus
naheliegenden Gründen öfter gegeben werden dürfte.
Mit seinem Es-Dur-Quintett scheint Bruch eine Bilanz
seiner Karriere als Symphoniker zu ziehen – wie seine 1. Symphonie von 1868
beginnt auch das neue Opus mit einem ganz ähnlichen Orgelpunkt (auf Es) beginnt;
aus den darüber liegenden Sechzehntelfiguren der zweiten Geige und ersten Bratsche grüßt das
„Rheingold“-Vorspiel, mehr noch aber der Rhein seiner Heimatstadt Köln, der ja
bekanntlich immer in Es-Dur klingt. Auch
andere Motive und Themen sind früheren Werken entlehnt: das lyrische Hauptthema
des Finales findet sich bereits im Finale der 3. Symphonie von 1883 und auch
das Doppelkonzert für Klarinette, Viola und Orchester von 1911 steuert ein
Seitenthema bei.
Dennoch ist das von Michael Kube herausgegebene Quintett
weit davon entfernt, eine bloße Zitatensammlung zu sein: der achtzigjährige
Bruch erweist sich als vitaler und einfallsreicher Komponist und Meister des
fünfstimmigen Satzes, der bei ihm immer durchsichtig und klangvoll klingt.
Verhältnismäßig leicht zu spielen, findet sich das Es-Dur-Quintett bereits
jetzt im Repertoire vieler Kammermusikformationen und dürfte sich rasch einen
Platz in den Herzen des Publikums und begeisterter Amateure erobern.
Max Bruch
Streichquintett Es-Dur
Erstausgabe
Herausgegeben von Michael Kube
Vorwort von Christopher Fifield
G. Henle Verlag HN 844/ Hn 9844
Stimmensatz HN 844, EUR 26,- / Studienpartitur HN 9844,
EUR 13,-
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