Sonntag, 24. Februar 2013

Dmitri Terzakis Drei Götter für zwei Klaviere





„Pan ist der Gott der Wälder und der Hirten. Ein hässliches Mischwesen, das (wie ein echter Grieche) die Frauen mag. Er läuft hinter den Nympchen des Waldes und der Quellen her, doch ohne Erfolg. Das ist sein Drama. Im Übrigen ist er harmlos, vorausgesetzt, dass man seinen Mittagsschlaf nicht stört. Dann wird er wütend und versetzt die Menschen in Panik.“

 Dmitri Terzakis


In der Welt der Neuen Musik nimmt Dimitri Terzakis eine Sonderstellung ein. Weder komponiert er im traditionellen westlichen Stil, noch lässt er sich allzusehr von der Volksmusik seiner griechischen Heimat beeinflussen. Atonalität und serielles Tüfteln hat ihn ebensowenig beschäftigt wie Melodik aus der südosteuropäischen Folklore oder aus der mittelalterlichen byzantinischen Musik. Dabei ist er – selten genug – durchaus ein Melodiker, der sich halt in keine Schublade stecken lässt.

Dass man seine Musik dennoch rasch erkennt, liegt vielleicht am geistigen Hintergrund des 1938 in Athen geborenen Komponisten und Hochschullehrers, der seit seiner Emiritierung zwischen seiner Wahlheimat Leipzig und dem griechischen Nauplia pendelt.

An den Musikhochschulen in seiner Heimatstadt und Köln erhielt er bei Yannis Papaioannou und Bernd Alois Zimmermann seine kompositorische Ausbildung und entwickelte er als „Komponist zwischen zwei Welten“ eine eigene musikalische Sprache, die in den Musikkulturen Griechenlands und des östlichen Mittelmeerraumes wurzelt. Trotzdem ist Terzakis keinesfalls ein bloßer Nachahmer der uralten Traditionen seiner Heimat. Er nutzt jedoch deren technischen Elemente, um eine eigene Ausdrucksweise zu entwickeln, in der horizontale, also melodische Bildungen überwiegen. Diese Melodik bedient sich nicht des temperierten Systems der abendländischen Musik, sondern verwendet in vielfältigen horizontalen Operationen Mikrointervalle, die kleiner als Halbtöne sind.

Und natürlich ziehen immer wieder die Themen der griechischen Mythologie in ihren Bann – sei es mit dem musikalischen Schattenspiel „Hermes“ oder der „Hommage à Dionysos“ für großes Orchester.

Auch in seinem 2004/2005 komponierten Zyklus „Drei Götter für zwei Klaviere“ stehen Figuren des Olymp im Vordergrund. Der eingangs zitierte Pan, der in Form eines kommentierten Charakterstücks in Tönen gemalt wird – einschließlich in der Partitur verstreuter illustrierender Glossoalien wie „Der hässliche Pan“, „Pan macht den Nymphen schöne Augen“, „Die Nymphen provozieren Pan mit ihren Grazien“. Schade nur, dass das Lektorat nicht immer besonders gut hingesehen hat („Eine nachte Nymphe singt“ – sollte sie nicht besser „nackt“ sein?). Hoffen wir, dass der Notentext stimmt.

Musikalisch spielt sich das alles mit Trommelrhythmen im Bass ab, mit leggiero huschenden Bewegungen oder Glöckchenmotiven. Großer Spaß...!

... der sich sofort in nebligen Dunst auflöst, wenn wir mit Terzakis die Unterwelt betreten, in der Pluto herrscht. „Blitze fallen auf die Seelen“. „Hoffnung“. „Leiden“. Nein, das ist keine angenehme Umgebung – aber die Musik findet dennoch zu einem friedlichen Ende.

Dass Götterbote auf den ersten Blick im Stil der französischen Operette daherkommt, sorgt bei hoffentlich nicht allzuseriös gestimmtem Publikum für befreiendes Schmunzeln. Schön, wie Terzakis mit den alten Formen spielt und sie mit neuem Geist füllt.

Dmitri Terzakis
Drei Götter für zwei Klaviere
Edition Gravis EG 1842
EUR 29,95

Thomas Daniel Schlee Streichtrio für Violine, Viola und Violoncello op. 75





„Meine Erfahrung mit Schlees Musik ist: Sie macht glücklich; sie drängt sich nicht auf, aber sie lädt Herz und Verstand ein, Qualitäten zu entdecken, die sich tief einprägen. In ihrem lauteren Charakter, in ihrer beredten Bildsprache und kompositorischen Dichte, in ihrer unbedingten Geistigkeit und Spiritualität steht sie Bruckner und vor allem Messiaen nahe, dessen später Schüler Schlee gewesen ist. Und es mag sein, dass einmal weit weniger diejenigen als Messiaens Erben gelten werden, die von seinen technischen Findungen früh, aber eher partiell profitierten, sondern dass in der Zukunft eigentlich Schlee als der erkannt wird, der Messiaens Vorstellungswelt deshalb total begriffen hat, weil sie seiner eigenen schon zuvor entsprach; gerade dies aber hat ihn geleitet, die eigene, unverwechselbare Sprache zu finden.“

Heinz-Albert Heindrichs, 2003



Man muss schon eine Pferdenatur haben, um das Arbeitspensum zu schaffen, das sich Thomas Daniel Schlee auferlegt: Tagsüber Kulturmanager und international gefragter Organist, komponiert er vor allem nachts oder in freien Mußestunden. Als Kulturmanager ist er vom Linzer Brucknerhaus zum Beethovenfest nach Bonn gewechselt und von dort als Intendant zum Carinthischen Sommer, wo er 2007 in Anwesenheit des damaligen Landeshauptmannes Jörg Haider mit der Aufführung von Mauricio Kagels „Der Tribun“ ein politisches Zeichen setzte. Das brachte ihm in liberalen Kreisen zwar eine Mange Sympathie ein, seine Arbeit als Festivalchef hat es verständlicherweise aber nicht gerade erleichtert.

Das erinnert an Gustav Mahler, der als Wiener Hofoperndirektor zehn Monate im Jahr eine kulturelle Kärrnerarbeit leistet, die sogar den jungen Adolf Hitler begeisterte, um hernach zwei Monate lang die schöne Stadtwohnung gegen sein Komponierhäusl in Mürzzuschlag einzutauschen. Auch Peter Ruzicka fällt einem da ein oder der in allen Satteln feste Olli Mustonen. Und wo Gustav Mahler gegen die nationalistisch-antisemitische Bagage ankämpfte, muss sich Schlee mit Kärtner Provinzpolitikern herumärgern, die mit den „Freiheitlichen“ an die Macht gekommen sind und denen „die ganze Richtung“ im allgemeinen und Schlee im besonderen „nicht passt“. Den „Tribun“ haben sie ihm nicht vergessen – so dumm sind sie dann doch nicht bei der FPÖ. Und auch nicht, dass Schlee beim anschließenden Jubelempfang Haider den Handschlag demonstrativ verweigerte.

Man darf dem bullig wirkenden Künstler wohl einen Hang zum „Poltern“ unterstellen. Er macht es sich nicht leicht und, wie man hört, auch seinen Freunden nicht. Geboren am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober und hadert er mit der österreichischen Seele an sich wie auch der österreichischen Kultur- und sonstigen Politik. Vielleicht ist die Kammeroper „Hiob“, in welcher der Prophet mit seinem Gott hadert, nicht ganz zufällig sein „opus summum“ geworden – bis jetzt zumindest.

Schlees musikalischer Horizont wurde schon früh geweitet: Mit der Zweiten Wiener Schule ist er buchstäblich aufgewachsen – er ist der Sohn des legendären Alfred Schlee, der lange Zeit die Universal Edition leitete und in der Wohnung seiner Mutter steht nach wie vor der Flügel von Anton Webern – und er verwendet ihre Errungenschaften ebenso selbstverständlich wie das bei seinem Lehrer Olivier Messiaen Erlernte. Dabei gelingt es ihm sogar, der latenten Zwölftönigkeit gregorianische Formsprache zu unterschieben. Messiaen war es auch, der ihm half, eine Tonsprache zu finden, die ihre französischen Wurzeln jederzeit durchschimmern lässt, aber einen sehr individuellen Charakter trägt.  Dafür, dass er so wenig Zeit zum Komponieren hat, ist sein Oeuvre beachtlich: Kammermusik und Orchesterwerke, einige Opern und Orgelmusik – verlegt bei Doblinger und Bärenreiter.

Wie etwa das zwischen 2008 und 2010/2011 entstandene Streichtrio op. 75, das im April des vergangenen Jahres im Steinernen Saal des Wiener Musikvereins uraufgeführt wurde. Die französischsprachigen Satzbezeichnungen und Tempoangaben verweisen auf die hohe Affinität des Komponisten zur französischen Sprache und Kultur. Dem „Prélude“ (Notenbeispiel 1) folgt eine „Invocation“, ein Titel der sogleich auf die Sphäre von Schlees Lehrer Olivier Messiaen verweist. Sicherlich auch eine gezielte Hommage an den verehrten Lehrer, dessen Todestag sich heuer zum zwanzigsten Mal jährt. 

Die Invocation (Notenbeispiel 2) ist etwas früher als die anderen Sätze komponiert worden und war gewissermaßen der Ausgangspunkt für diese Arbeit. Mit dieser klassischen Satzbezeichnung legt Schlee gewissermaßen den Tonfall und die Farbe vor, in der die kommenden zwanzig Minuten verlaufen werden: Klassisch modern und geistlich, mit nachdenklichem Impetus. Der Satzbeginn der Invovation erinnert mit seinen blockartigen Rhythmen nicht nur vom Notenbild an ein Orgelstück.

Auch die beiden übrigen Satztitel verweisen auf eine heitere Grundstimmung, die vielleicht durch die besondere Atmosphäre des Carinthischen Sommers geprägt ist: „Allégresse“ (Jubel, Freude) und „Eglogue“ (ein ländliches Gedicht, das uns in die bukolische Welt der Schäfer und Fabelwesen entführt). ). Die Titel verleihen der Musik zugleich eine dramaturgische Qualität, die sie ohne ihr Zutun vielleicht nicht erhalten hätte. Man denkt sich ja immer etwas dabei.

Eine zentrale Stellung nimmt – nicht nur wegen seiner Positionierung im „Goldenen Schnitt“ – die „Allégresse“ ein (Notenbeispiel 3). Hier wird ein impressionistisches Feuerwerk am Klängen und Farben aufgeboten, das für die Interpreten eine ganze Reihe von Fallgruben bereithält. Wer hier nicht wach und wandlungsfähig musizieren kann, der ist unrettbar verloren. Zugleich liegt aber in der zupackenden Leichtigkeit dieser Musik eine große Poesie, die sich auch auf den letzten Satz überträgt.

Die Eglogue hat hier den Charakter einer Nachbetrachtung. Alle Streicher legen ihre Dämpfer an und entfalten ein fast Pastoralbild von beeindruckender Langsamkeit (Notenbeispiel 4). Ein oder zwei Instrumente legen den beschaulichen Untergrund, auf dem schwirrende Bewegungen an einen Schwalbenflug im Sommer erinnern. Eigentlich passiert hier nicht mehr viel, nur noch zufrieden Glückseligkeit, die gerade so lange dauert, wie es halt dauert, um dem Glück einen kleinen Stich zu versetzen.

Für wen taugt Schlees neues Trio? Sicherlich für die Profis, die auf der Suche nach einem Stück sind, das französische Eleganz und Klarheit mit österreichischer „Erdigkeit“ verbindet. Ich könnte mir vorstellen, es mit den Trios von Herzogenberg (am besten das zweite in F-Dur) und Francaix zu kombinieren. In diese Umgebung passt es meines Erachtens gut hinein. Das wäre natürlich ein Wagnis: gleich drei unbekannte Trios an einem Abend. In diesem Falle ersetze man eines der beiden durch ein Stück von Beethoven oder Mozart und schon sind auch die Veranstalter erleichtert. Für Amateure ist Schlees Opus 75 wahrscheinlich zu schwer, obwohl die langsamen Sätze durchaus einen Blick wert sind. Proben Sie es doch einfach mal aus und schreiben Sie mir dann, ob es Ihnen gefallen hat.




Thomas Daniel Schlee
Streichtrio für Violine, Viola und Violoncello op. 75
Bärenreiter Verlag BA 11 012
EUR 28,50