Sonntag, 16. Januar 2011

Die Arbeit eines Künstlers ist nur ein Echo auf das Wort Gottes





Ich glaube, dass Musik etwas ist, was Menschen wirklich brauchen und dass seine Bedeutung ausschließlich darin liegt, wie sehr ein Hörer in der Lage ist sie zu verstehen. Jeder Mensch sollte wissen, wie man Musik „benutzt“. Nicht nur Musik – auch Literatur, Malerei oder Film. Tarkowski hat gesagt: „Kunst ist Gebet”. Das möchte ich unterstreichen. Aber ist schwierig zu verstehen: man muss in diese Denkweise hineinwachsen. Für viele Menschen besteht ein Gebet darin, das „Ave Maria“ aufzusagen – aber man kann das „Ave Maria“ viele Male aufsagen und es wird nicht notwendigerweise ein Gebet. Olivier Messiaen hat mir einmal in Kattowitz gesagt, er sei ein Mann des Gebets. Aber was tut er? Er schreibt seine Noten nieder und hört den Vögeln zu. Soll das ein Gebet sein?

Henryk Mikołaj Górecki


Am 12. November 2010, wenige Wochen vor seinem 77. Geburtstag starb Henryk Mikolaj Górecki in seiner schlesischen Heimatstadt Katowice. Der polnische Komponist, der vor allem durch seine 3. Sinfonie, die „Sinfonie der Klagelieder“ zu weltweiter Bekanntheit gekommen war, hatte den zahlreichen Krankheiten, die ihn sein ganzes Leben begleiteten, am Ende nichts mehr entgegenzusetzen. Die Welt hat einen Komponisten verloren, dessen Musik sich nur schwer einer bestimmten Kategorie zuordnen lässt.

Henryk Górecki wurde am 6. Dezember 1933 in Rybnik geboren und studierte Komposition bei Boleslaw Szabelski an der Staatlichen Hochschule für Musik in Katowice. Nach einem Studienaufenthalt In Paris wurde er zum Professor an derselben Hochschule ernannt und 1975 sogar zu ihrem Rektor gewählt. Ein Amt, von dem er jedoch vier Jahre später unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen wieder zurücktrat. Seitdem lebte er zurückgezogen in seiner Heimatsdtadt Katowice und komponierte.

Obwohl seine Musik in Polen oft aufgeführt wurde, blieb er außerhalb der Grenzen seines Heimatlandes nahezu ein Unbekannter. Was vielleicht auch daran lag, dass Górecki der Prototyp des ein wenig versponnenen Einzelgängers gewesen ist, der sich wenig um Publicity scherte, Interviews und Pressekonferenzen scheute und das Kronos-Quartett schon einmal zwölf Jahre auf eine in Auftrag gegebene Komposition warten ließ. Und auch eine ganze Reihe schwerer Krankheiten schränkten seinen Lebensstil mehr ein, als ihm möglicherweise lieb war.

Dieser Zustand änderte sich erst 1993, als die bereits 1976 geschriebene 3. Symphonie, die „Symphonie der Klagelieder“ an die Spitze der britischen Pop-Charts stürmte und sich über eine Million mal verkaufte. Dieser für einen modernen Komponisten unglaubliche Erfolg hat viele seiner Kollegen und Freunde verblüfft, besonders in Polen, wo man das Werk schon lange kannte. In seiner Heimat galt Góreckis Dritte als Teil einer ganzen Reihe faszinierender Kompositionen, die am Ende eines langen und komplexen künstlerischen Weges standen.

Górecki hat viele Jahre damit zugebracht, seine eigene Stimme zu finden – indem er die Techniken seiner Vorgänger wie Bela Bartók, Karol Szymanowski aufnahm und sich mit der Musik seiner Zeitgenossen beschäftigte: Pierre Boulez etwa, aber auch Iannis Xenakis und Luigi Nono. Zusammen mit Penderecki, Serocki und anderen gehörte Górecki zu den radikalen Neutönern seiner Zeit – nachzuhören etwa in der 1969 komponierten „Muzyka Staropolska”, der altpolnischen Musik für Blechbläser und Streicher oder dem agressiven „Scontri“ für großes Orchester, einem Werk voller (oft seriell organisierter) krachender Zusammenstöße von horizontal und vertikal geführten Pattern.

In den siebziger Jahren arbeitete Górecki daran, eine Verbindung zwischen seiner von Avantgarde-geprägten Musik und seiner tiefen Religiosität (wie die meisten seiner Landsleute war auch Górecki ein orthodoxer Katholik) zu schaffen. Er beschäftigte sich mit früher polnischer Musik und vertonte zahlreiche geistliche Texte für Chor. In diese Zeit der Neuorientierung fällt auch die Komposition seiner 3. Synmphonie. Die Konzentration auf Chormusik hatte eine Änderung seines Stils zu Folge: an die Stelle serieller Strukturen traten einfache harmonische Texturen und weit ausholende Melodiebögen.

In den achtziger und neunziger Jahren schließlich kamen weitere Elemente hinzu: Chopin, Beethoven und Szymanowski scheinen als Vorbilder durch und Farben und Rhythmen aus der polnischen Volksmusik kommen hinzu. Die starken Akzente, die schroffen farben und die unermüdlichen Ostinati sind ein direktes Echo der Tänza aus dem Tatragebirge, den melancholischen Bläsermelodien Schlesiens und dem Ungestüm der tschechischen Polka.
Vieles davon findet sich in seiner Kammermusik wieder, die bei Boosey & Hawkes erschienen. Etwa in den drei Streichquartetten für das Kronos-Quartett – zu einem vierten ist es nicht mehr gekommen – in denen Górecki seine Technik der Reduktion zu Extremen führt. Anders als etwa Arvo Pärt oder John Taverner, mit denen er zuweilen verglichen wird, scheut seine Musik nicht die extremen Dissonanzen und „hässliche“ Töne. Etwa in den roh und beinahe „barbarisch“ anmutenden Mittelsätzen des 2. Streichquartetts oder dem mit grimmiger Lustigkeit aufspielendem „Kleinem Requiem für eine Polka“. Für Amateure dürfte vor allem das 3. Streichquartett mit seiner reduzierten Tonsprache einen guten Einstieg in Góreckis Klangwelt darstellen.

Schlicht und geradezu intim sind die beiden Violinstücke „Little Fantasia“ und „For Jasiunia“, von denen das letztgenannte sogar von Geigenanfängern zu bewältigen ist. Wagemutige Schlagzeugensembles dürfen sich mit einem Tubisten verbünden und anhand der „Aria“ nachspüren, wie wohl eine Oper von Górecki klingen würde, die er nie geschrieben hat. Und für Flötisten dürfte das für norwegische Flötistin Anne-Lill Ree komponierte „For You, Anne Lill“ von Interesse sein, in dem die gesanglichen Qualitäten der Flöte auf eine Basis von „Glockentönen“ im Klavier gestellt werden.


Kammermusik von Henryk Górecki
For You, Anne-Lill (1986) | Flöte und Klavier | Boosey & Hawkes ISMN M-060-09434-7
Aria | Tuba, Piano, Tam-Tam und große Trommel | Boosey & Hawkes ISMN M-060-09433-0
For Jasunia (2003) | Violine und Klavier | Boosey & Hawkes ISMN 979-0-060-11964-4
Little Fantasia | Violine und Klavier | Boosey & Hawkes ISMN 0-60-10817-4
Already It Is Dusk (1988) | Streichquartett Nr. 1 | Boosey & Hawkes HPS 1192
Quasi Una Fantasia (1990-1991) | Streichquartett Nr. 2 | Boosey & Hawkes HPS 1256
... Songs Are Sung (2005) | Streichquartett Nr. 3 | Boosey & Hawkes HPS 1408




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