Samstag, 29. Januar 2011

Hamburg und der „stilo fantastico" - Claviersonaten von Johann Mattheson in der Edition Walhall



Über Johann Mattheson, geboren 1681 in Hamburg und dort auch 83 Jahre später gestorben, wissen wir (wenn wir nicht im Musiklexikon nachlesen) nicht besonders viel. Den Kritischen Musicus hat er herausgegeben – Deutschlands erste Musikzeitschrift. Opern hat er komponiert und sich als junger Mann mit Händel duelliert; wegen „künstlerischer Differenzen“. Sein Degen streifte angeblich Händels Tabakdose, die dieser über der Brust trug, was – wenn es wahr – ist, zwei Dinge beweist: Mattheson nahm seine Ehrenpflicht wirklich ernst und wollte dem verhassten Kontrahenten ernsthaft ans Leder und außerdem, dass Tabakgenuss zuweilen lebensverlängernd wirken kann. Zum Glück kam es anders. Irgendwann beruhigten sich die Streithähne, gingen sich in St. Georg oder dem Gängeviertel besaufen und nahmen sich vor: „Irgendwann schreiben wir mal eine Oper zusammen!“. Was sie auch tatsächlich taten: „Armida“ heißt das gemeinsame Kind dieser künstlerischen und persönlichen Freundschaft und ist ein barockes Meisterwerk. Dem leider keine weiteren folgten. Mit 24 Jahren begann Mattheson, sein Gehör zu verlieren, mit dreißig war er taub und musste sich einen anderen Brotberuf suchen: der junge Hannes wurde Legationssekretär und betrieb die Musik nur noch als passionierter Privatier, der sich vor allem als Autor zahlreicher theoretischer Schriften einen Namen machte.

Dass er ein Komponist von Format gewesen war, der einiges zu sagen hatte, demonstrieren eindrucksvoll die in der Edition Walhall erschienenen „Pieces de Clavecin“. Vor mir liegt der erste von zwei Bänden mit Suiten mit den klassischen Elementen Prelude, Allemande, Double, Courante, Air, Sarabande oder Gigue, die jedoch in jeder Suite anders angeordnet werden. Mal vertritt eine „Toccatine“ die Form der Ouvertüre, mal eine Allemande und zuweilen findet sich bereits ein Menuett.

Verblüffend ist der Einfallsreichtum und die Unbekümmertheit, mit der Mattheson bei der Komposition vorgegangen ist: Wenig ist zu spüren von der stereotypen Wiederholung verbreiteter Floskeln. Selbst da, wo sich der Autor an der Formensprache seiner Zeit orientiert, ist Mattheson immer um eine originelle Wendung bemüht. Mit Händels abgeklärter Schlichtheit hat dies ebenso wenig zu tun wie mit Bachs detailverliebter Genauigkeit. Beinahe scheint es, als wolle Mattheson dem „stilo fantastico“ neues Leben einhauchen. Bizarre Sprünge in entlegene Harmonien und überraschende „Haken“ verweisen den selbstsicheren „Vom-Blatt-Spieler“ in seine Schranken. Was leider auch ein wenig an der von Jolando Scarpa betreuten Ausgabe liegt, deren Druckbild gedrängt wirkt und der ein paar Dutzend Sicherheitsvorzeichen ebenso wenig  geschadet hätten wie die eine oder andere klärende Fußnote.



Johann Mattheson
Pieces de Clavecin
Suiten 1-6
Herausgegeben von Jolando Scarpa
Edition Walhall EW 652
EUR 19,50

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