Donnerstag, 27. Januar 2011

Echos der Shoah: die Kammermusik von Mieczysław Weinberg

Vielleicht ist es auch der hartnäckigen Arbeit seines Verlages zu verdanken, dass die Musik des 1919 in Warschau geborenen Mieczysław Weinberg mehr und mehr Aufmerksamkeit erfährt. Bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen ist ihm beispielsweise nicht nur ein ganzes Symposium gewidmet – auch die Politoper „Der Passagier“ wird nach Jahren der Abstinenz wieder einmal auf einer deutschsprachigen Bühne zu sehen sein.


Ein Leben auf der Flucht. Als am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschierte, floh der 20jährige jüdische Musikstudent Mieczysław Weinberg Hals über Kopf in die Sowjetunion und beendete seine Studien in Minsk. Sein Vater, ein Theatermusiker, und seine Mutter blieben in Warschau zurück und überlebten die Shoah nicht. Als die Wehrmacht 1941 vor Minsk stand, musste er wieder seine Koffer packen und zog sich in usbekische Taschkent zurück – nicht gerade das Zentrum der europäischen Musikwelt. Es war Dmitri Schostakowitsch, der ihn da herausholte, nachdem Weinberg seinem großen Vorbild die Partitur seiner 1. Symphonie geschickt habe. Schostakowitsch besorgte ihm ein Auskommen in Moskau und wurde ihm ein lebenslanger Freund und Mentor. 1996 starb Weinberg in Moskau – ein Teil seines beachtlichen Werkes erscheint nun bei peer music.

Da wäre zunächst das 4. Streichquartett op. 20 – komponiert 1945 in seinen ersten Moskauer Jahren. Es erinnert mit seinem liedhaften Kopfthema in Es-Dur ein wenig an Schostakowitsch und auch die durch alle (Schein)tonarten springende Verarbeitung lässt Einflüsse des verehrten Freundes erkennen. Und auch die Abgründe, die sich unter der bukolischen Atmosphäre verbergen, man kennt sie aus den ähnlich doppelbödigen Kompositionen des älteren Kollegen. Der zweite Satz trägt Toccaten-Form und ist in seiner wilden Mischung aus Prokofieff und Mendelssohn ohne Vorbild. Ein Meisterstück und eine neue Farbe in der Kammermusik des 20. Jahrhunderts. Gänzlich fahl und schattenhaft der langsame dritte Satz, „Largo marciale“, dessen gespenstische Rhythmen und die einsam über der Szenerie schwebende Solo-Violine eine Atmosphäre des erstarrten Schreckens transportieren, wie wir sie in vielen Kompositionen der unmittelbaren Nachkriegszeit finden. Dass auf eine solche Seelenentäußerung nur ein haltsuchend-taumelndes Dur-Finale folgen kann, dessen chaotische Arpeggio-Figuren mit einem fulminanten Moll-Schluss vor die Wand gefahren werden, ist da nur folgerichtig.

Drei Jahre nach dem Ende des „großen vaterländischen Krieges“ musste Weinberg erneut um sein Leben fürchten: seine Musik stand (neben der vieler anderer Kollegen) auf einer Liste mit verbotenen Werken – Stichwort „Anti-Formalismus-Kampagne“. Und weil eine antisemitische Geisteshaltung auch in der KPdSU zum guten Ton gehörte, musste sich Weinberg auch noch als „Kosmopoliten“ bezichtigen lassen. Wie die meisten seiner Kollegen reagierte auch er mit einem Trick: er ließ einfach einen höheren Anteil volkstümlicher Elemente in seine Musik einfließen.
Eines der unter dieser Vorzeichen entstandenen Werke ist das dreisätzige Trio für Violine, Viola und Violoncello op. 48 in a-moll, das vor allem im Finale mit Klezmer-Anklängen aufwartet. Auch hier ist eine Seelenverwandtschaft zu Schostakowitsch freilich nicht zu leugnen. Besonders der erste Satz beeindruckt durch die Freiheit seiner Motivwiederholungen und die kluge Architektur, die der Spannungsschraube bis zum Ende immer noch eine weitere Drehung versetzt. Der Mittelsatz präsentiert sich als (mit Dämpfern zu spielende) Adagio-Fuge, die ihre strenge Form jedoch sachte auflöst und zum Ende in eine ätherische Modulation mutiert. Geradezu störrisch und trotzig präsentiert sich das Finale, das ein wenig wirkt, als habe der Komponist die von ihm verlangte „Abkehr vom formalistischen Denken“ den Kulturdiktatoren mit abfälliger Geste vor die Füße werfen wollen. Eine klezmerartige Melodie wird bohrend wiederholt und dabei auf eine gleichförmige Kette von orgelpunktartigen Sechzehntelwiederholungen gestellt. Und irgendwann ist das Stück halt zu Ende. Der lakonische Witz dieses Finales ist großartig – und dürfte auch von den Zeitgenossen erkannt worden sein.

Notenausgaben
Streichquartett Nr. 4, op. 20 | Peer Musik 3540 (Stimmensatz) / 3540a (Partitur)
Trio op. 48 für Violine, Viola und Violoncello | Peer Music 3706 (Partitur und Stimmen)

1 Kommentar:

  1. Kammermusiknacht in München, die Mieczyslaw Weinberg gewidmet ist. Jens Peter Maintz (Cello), Jascha Nemtsov (Klavier) und Julia Rebekka Adler (Bratsche) spielen am 19.03. im Künstlerhaus München. Ankündigung u.a. unter:
    http://www.maerchenbilder.com/page9/files/concert19mar.pdf

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