Mittwoch, 25. Januar 2012

Peter Przystaniak | Five Angels





„Es gibt immer wieder Ereignisse, die sich mit unserem Verstand nicht hinreichend erklären lassen. Die Frage nach dem Warum versuchen wir dann manchmal zu beantworten, indem wir uns mitunter auf eine religiöse oder spirituelle Ebene begeben. Obwohl ich als Musiker und Komponist ständig mit Musik zu tun habe, konnte ich mir in einer schlaflosen Nacht im Mai 2008 nicht erklären, wie die Musik des vorliegenden Stückes in einer Art Eingebung in meinen Kopf gelangte. Nach längerem und intensivem Nachdenken kam ich zu der Überzeugung, dass höhere Wesen, nämlich Engel im Spiel gewesen sein mussten.“



In „Five Angels“ geht es um Engel – genauer gesagt: um die fünf Erzengel Gabriel, Haniel, Mikael, Raphael und Kamael. Eine fünfsätzige Komposition für Klarinette und Klavier, deren Sätze einzeln gespielt werden können, aber auch zusammen eine prima Suite abgeben. Und mit zusätzlichen Stimmen für Violine und Violoncello lässt sich das Stück sogar zu einer veritablen Quartettbesetzung erweitern. Und natürlich gibt es auch ein Solofassung für Flöte, Violine, Viola oder Violoncello.

Wer bei Begriffen wie „variable Besetzung“ oder „auff allerhand Instrumenten zu gebrauchen“ zusammenzuckt und sich nichts Besonderes davon erwartet, der wird von Przystaniak rasch eines Besseren belehrt. In den fünf Einzelsätzen verbinden sich lateinamerikanische Rhythmen und Jazz-Harmonien mit Filmmusik und Gospelklängen, die Klarinette darf ein wenig klezmern und wer sich als Pianist beizeiten einen groovigen Rockmusikanschlag zugelegt hat, der wird sich mit dem treibenden und perkussiven Klaviersatz in den schnellen Rahmensätzen leichter tun als ein „klassische Pianist“, der vor allem Tonleitern und Arpeggien in seinem technischen Marschgepäck mit sich führt. Der könnte allerdings in den beiden langsamen Sätzen seine bei Debussy und Chopin erworbene Kenntnisse in punkto Schattierung und farbigem Spiel einsetzen.

Wenn man ehrlich ist, dann haben die Satzüberschriften nicht so schrecklich viel mit der Musik darunter zu tun. „Gabriel – die Reinheit“ Gottes – er könnte seine halsbrecherische Toccata im Bossa-Rhythmus (Abbildung 1) auch gegen die elegischen Klänge von „Haniel – die Gnade Gottes“ tauschen. Das würde auch passen und ginge in Ordnung. Dass allerdings Mikael („der Gott gleicht“) in Form eines sportiven Jazzrocktitels im West-Coast-Style daherkommt, ist schon lustig. Und übrigens gar nicht so einfach zu spielen, wenn man keinen Drummer hat, der den Pianisten im Zaum hält.

Die kontrastreichen und bildhaften „Angels“ dürften vor allem jüngere Spieler in ihrem Bann ziehen. Wie eine „Neue Kammermusik“ aussehen könnte, die jugendliche Musiker anspricht, darüber ist in den letzten Jahren manche These aufgestellt und mancher Takt geschrieben worden. Nicht immer zur Freude und zum Spielvergnügen der jungen Musiker. Nie mehr im Leben hat man so viel Kraft mit fünfzehn oder sechzehn Jahren – und die will man auch in der Musik umsetzen. Pianisten entdecken Rachmaninoff, Streicher verlieben sich in die Konzerte von Sibelius und Schostakowitsch, Bläser schließen sich zu Bands und Harmoniemusiken zusammen und alle lieben Filmmusik, Rockmusik und die Symphonien von Gustav Mahler. Doch neue Kammermusik, die allen diesen Bedürfnissen entgegenkommt, ist schwer zu finden. Was angeboten wird, ist oft mittelmäßig seichter Pseudo-Pop, der „nachgemacht“ klingt und oft auch schlecht in der Hand liegt. Oder es ist so verstiegen und „theoretisch“, dass auch der Neugierigste irgendwann seine Neugierde zügelt und sich lieber wieder anderen Tätigkeiten widmet.

Was vielleicht auch daran liegt, dass die Komponisten von „klassischer Musik“ sich immer noch viel zu wenig mit populären Kunstformen auskennen – und umgekehrt viele Popmusiker nicht über die handwerklichen Fähigkeiten verfügen, Kammermusik auf professionellem Niveau zu schreiben. Und wenn es dann mal geschrieben wird, dann will es niemand verlegen, weil es für die einen zu schwer und für die anderen zu leicht sein könnte. Und weil einem eventuell die ganze Richtung etwas suspekt ist.

Mit den „Five Angels“ könnte Peters einen Trend setzen. Anspruchvolle Kammermusik im populären Stil, die genug Fallgruben und Hürden bereithält, um den strengen Anforderungen von „Jugend musiziert“ zu genügen – so etwas braucht man doch eigentlich immer. Man denke nur an viele triste Runden bei „Jugend musiziert“, bei denen man mit dieser Musik durchaus Chancen haben dürfte. Oder an ambitionierte Vorspielabende der heimischen Musikschule, die nicht immer dasselbe Potpourri bieten will. Hoffen wir, dass die „Five Angels“ nur einen Anfang bilden für viele schöne Stücke, die noch folgen werden.




Peter Przystaniak | Five Angels für Klarinette und Klavier (Violine und Violoncello ad lib.) |
Mit CD | Weitere Fassungen für Flöte, Violine, Viola und Violoncello | Edition Peters EP 11320 |
EUR 14,80

I. Gabriel - die Reinheit Gottes (2008)
II. Haniel - die Gnade Gottes (2008)
III. Mikael - der Gott gleicht (2008)
IV. Raphael - die heilende Kraft Gottes (2008)
V. Kamael - die Macht Gottes (2008)




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