Samstag, 25. Oktober 2014

Ein paar Weihnachtsnoten




Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden um bey Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und ich will euch schreiben bis es Tag ist. Der Türmer hat sein Lied schon geblasen ich wachte darüber auf. Gelobet seyst du Jesu Christ. Ich habe diese Zeit des Jahres gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht mich vollends vergnügt... Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt, der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster.

JOHANN WOLFGANG GOETHE AN JOHANN CHRISTIAN KESTNER,
25. DEZEMBER 1772


Es soll Menschen geben, die Weihnachten hassen, die wollen wir bitten, die nächsten Zeilen einfach zu überlesen. Für alle anderen gilt: Herzlich willkommen im Weihnachtswunderland!

Wie in jedem Jahr sind die großen und kleinen Musikverlage auch 2008 nicht untätig gewesen und haben eine kleine Anzahl weihnachtlicher Musik setzen und drucken lassen, die sie dem musikalischen Publikum nunmehr zur gefälligen Aufnahme unterbreiten wollen. Wir haben uns einige Exemplare näher angesehen.

Den Anfang macht ein hübsches kleines Heft aus der Feder von Jürgen Borstelmann, dessen Name vermutlich jedem kulturinteressierten Sylt-Besucher ein Begriff sein wird. Der 1963 geborene Kirchenmusiker feierte vor zwei Jahren sein 25jähriges Dienstjubiläum als Organist an der evangelischen Kirchengemeinde Hörnum-Rantum. Er spielt dabei nicht nur die Orgel im sonntäglichen Gottesdienst, er veranstaltet auch Konzerte und lässt sich häufig selbst hören, hat sich mit seinen Orgelimprovisationen einen kleinen Namen gemacht und veröffentlicht gelegentlich Klavier- und Orgelmusik. Kurz: Er ist eines jener Talente, mit denen auch die so genannte Provinz immer noch reich gesegnet ist. Einen wie ihn hätte man früher wohl als Kleinmeister bezeichnet: bescheiden seinen Wirkungskreis abschreitend und um seine Grenzen wissend – innerhalb dieser Grenzen jedoch anregend und segensreich wirkend.

Nun hat Jürgen Borstelmann also seinem 2003 im Strube-Verlag erschienenen Heft mit „20 deutschen Weihnachtslieder im Jazzstil für Klavier“ ein weiteres folgen lassen: „Jazzy Xmas“ lautet sein trendiger Titel, ist bei Breitkopf & Härtel erschienen und bringt neben traditionellen deutschen Weihnachtsliedern auch das eine oder andere Stücklein aus dem angelsächsischen Kulturraum: vom auch hierzulande in der Kirche gesungenen „Adeste fideles“ über eher weltliche Weisen wie „Jingle Bells“ bis zu den englischen Weihnachtsklassikern „O Little Town Of Bethlehem“ und natürlich „We Wish You A Merry Christmas“. Fast alle Bearbeitungen haben auf einer Druckseite Platz und lassen sich von jedem geübten Amateur hervorragend vom Blatt spielen. Die Qualität des Gebotenen hat mich jedoch nicht recht überzeugen können. Sicher: An jazzigen Akkorden ist kein Mangel und auch rhythmisch wird gerne im Swing, Boogie und Latin-Stil synkopiert. Auf den an jazzgewohnten oder gar -geübten Spieler wirken sie jedoch befremdlich: manches klingt nach „Liturgischem Orgelspiel“ und viele harmonische Fortschreitungen wirken ungelenk und selten „logisch“. Beinahe so, als verwende der Autor lediglich die Vokabeln einer Sprache, ohne ihre Grammatik durchdrungen zu haben. So bleibt manche schöne Idee bereits im Ansatz stecken. Schade.

Einen zu Unrecht vergessenen Weihnachtsklassiker veröffentlicht die Edition Schott in ihrer – auch sonst empfehlenswerten – Reihe „Journal für das Pianoforte“. Er stammt aus der Feder des dänischen Komponisten Niels Gade (1817-1890). Gade (1817-1890), der in Kopenhagen geboren wurde und den größten Teil seines Lebens dort verbrachte, ging 1843 mit königlichem Stipendium nach Leipzig zwecks weiterer Ausbildung. Dort freundete er sich mit Robert Schumann an und fand in Felix Mendelssohn Bartholdy einen eifrigen Förderer. 1848 kehrte er nach Dänemark zurück, übernahm eine Professur und wurde dreizehn Jahre später zum Hofkapellmeister ernannt (1861), bevor er 1865 gemeinsam mit dem Komponistenkollegen (und nebenbei: seinem Schwiegervater) Johann Peter Emilius Hartmann das Königliche Konservatorium.

1859 erschien – natürlich zunächst mit dänischen Titeln und Texten (von Hans Christian Andersen) sein überaus reizvoller Zyklus „Der Kinder Christabend“ op. 36. Er zeichnet die charakteristische Atmosphäre eines bürgerlichen Weihnachtsabends nach, wie er im 19.Jahrhundert wohl oft begangen worden ist – und wie er auf dem Titelblatt der deutschen Erstausgabe von 1860 bildlich dargestellt worden ist. Wir sehen ein Rahmenwerk aus Tannengirlanden, die oben in „Weihnachtsglocken“ enden – das erste Stück des Albums, das mit einem ostinaten Motiv aufwartet und einen atmosphärischen Einstieg zaubert, dass einem der Zimt- und Bratapfelgeruch schon beim Spielen in die Nase steigt. Rechts oben zwischen  den Girlanden ist der Einzug ins Weihnachtszimmer abgebildet – zur Musik des Weihnachtsbaum-Einzugs-Marsches, der mit seiner farbigen Harmonik und kindgerechten „Niedlichkeit“ auch einen Platz in Tschaikowskys „Nussknacker“ verdient hätte. Der Marsch führt weiter auf die linke Seite, wo bereits der Christbaum mit angezündeten Kerzen wartet, unter dem Geschenke wie Puppen und Schaukelpferd darauf warte, von den Kindern in Besitz genommen zu werden. Die freudige Dankbarkeit der Mädchen und Knaben findet sich im unteren Drittel des Titelblattes wieder: ein „Ringeltanz der Knaben“ und ein „Freudentanz“ der kleinen Mädchen. Dass es sich dabei keineswegs um eine  elfengleiche Balletteinlage (mit rosa Flügelchen auf dem Rücken) handeln dürfte, legen sowohl der Illustrator als auch der Komponist nahe: Nicht nur bei den Knaben geht es „Allegro vivace“ zur Sache, auch die kleinen Mädchen warten mit einem recht sperrigen Walzermotiv auf, das einige ruppige Wendungen enthält. Müde gespielt und getanzt und hoffentlich beseligt von ihren Weihnachtsgaben, die Puppe im Arm und das Schaukelpferd noch immer gesattelt, werden die Kinder schließlich mit „Gute Nacht“ zu Ruhe und Schlaf mit Träumen vom schönen Christabend ins wohlig warme Bett entlassen.

Sind die Kinder erst einmal zu Bett gebracht, können sich die Erwachsenen und die älteren Geschwister noch einmal dem vierhändigen Klavierspiel widmen. „Schlittenfahrt für Zwei“ heißt der Band mit Bearbeitungen anglo-amerikanischer Weihnachtsklassiker aus der Feder des altbewährten Mike Cornick. Neben dem unvermeidlichen – und hier sehr pfiffig arrangierten „Jingle Bells“ finden sich auch ein Medley aus traditionellen englischen Weisen, zwei sehr atmosphärische Bearbeitungen von „Stille Nacht“ und „I Saw Three Ships“ und: Leroy Andersons großartiges und ebenso unterhaltsames „Sleigh Ride“, das dem Band seinen Titel gibt. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!   


Niels Gade
Der Kinder Christabend, Kleine Klavierstücke op. 36
Herausgegeben von Hans Musch
Journal für das Pianoforte
Edition Schott ED 8688
EUR 9,95

Jürgen Borstelmann
Jazzy Xmas
Edition Breitkopf EB 8818
EUR 10,50

Mike Cornick
Schlittenfahrt für zwei Hände
Universal Edition UE 21 454
EUR 17,95


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen