Christtag
früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden um bey
Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger
Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und
ich will euch schreiben bis es Tag ist. Der Türmer hat sein Lied schon geblasen
ich wachte darüber auf. Gelobet seyst du Jesu Christ. Ich habe diese Zeit des
Jahres gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist
macht mich vollends vergnügt... Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt, der
Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster.
JOHANN WOLFGANG GOETHE
AN JOHANN CHRISTIAN KESTNER,
25. DEZEMBER 1772
Es soll Menschen geben, die Weihnachten hassen, die wollen
wir bitten, die nächsten Zeilen einfach zu überlesen. Für alle anderen gilt:
Herzlich willkommen im Weihnachtswunderland!
Wie in jedem Jahr sind die großen und kleinen Musikverlage
auch 2008 nicht untätig gewesen und haben eine kleine Anzahl weihnachtlicher
Musik setzen und drucken lassen, die sie dem musikalischen Publikum nunmehr zur
gefälligen Aufnahme unterbreiten wollen. Wir haben uns einige Exemplare näher
angesehen.
Den Anfang macht ein hübsches kleines Heft aus der Feder von
Jürgen Borstelmann, dessen Name vermutlich jedem kulturinteressierten
Sylt-Besucher ein Begriff sein wird. Der 1963 geborene Kirchenmusiker feierte
vor zwei Jahren sein 25jähriges Dienstjubiläum als Organist an der
evangelischen Kirchengemeinde Hörnum-Rantum. Er spielt dabei nicht nur die
Orgel im sonntäglichen Gottesdienst, er veranstaltet auch Konzerte und lässt
sich häufig selbst hören, hat sich mit seinen Orgelimprovisationen einen
kleinen Namen gemacht und veröffentlicht gelegentlich Klavier- und Orgelmusik.
Kurz: Er ist eines jener Talente, mit denen auch die so genannte Provinz immer
noch reich gesegnet ist. Einen wie ihn hätte man früher wohl als Kleinmeister
bezeichnet: bescheiden seinen Wirkungskreis abschreitend und um seine Grenzen
wissend – innerhalb dieser Grenzen jedoch anregend und segensreich wirkend.
Nun hat Jürgen Borstelmann also seinem 2003 im Strube-Verlag
erschienenen Heft mit „20 deutschen Weihnachtslieder im Jazzstil für Klavier“
ein weiteres folgen lassen: „Jazzy Xmas“ lautet sein trendiger Titel, ist bei
Breitkopf & Härtel erschienen und bringt neben traditionellen deutschen
Weihnachtsliedern auch das eine oder andere Stücklein aus dem angelsächsischen
Kulturraum: vom auch hierzulande in der Kirche gesungenen „Adeste fideles“ über
eher weltliche Weisen wie „Jingle Bells“ bis zu den englischen
Weihnachtsklassikern „O Little Town Of Bethlehem“ und natürlich „We Wish You A
Merry Christmas“. Fast alle Bearbeitungen haben auf einer Druckseite Platz und
lassen sich von jedem geübten Amateur hervorragend vom Blatt spielen. Die
Qualität des Gebotenen hat mich jedoch nicht recht überzeugen können. Sicher:
An jazzigen Akkorden ist kein Mangel und auch rhythmisch wird gerne im Swing,
Boogie und Latin-Stil synkopiert. Auf den an jazzgewohnten oder gar -geübten
Spieler wirken sie jedoch befremdlich: manches klingt nach „Liturgischem
Orgelspiel“ und viele harmonische Fortschreitungen wirken ungelenk und selten
„logisch“. Beinahe so, als verwende der Autor lediglich die Vokabeln einer
Sprache, ohne ihre Grammatik durchdrungen zu haben. So bleibt manche schöne
Idee bereits im Ansatz stecken. Schade.
Einen zu Unrecht vergessenen Weihnachtsklassiker
veröffentlicht die Edition Schott in ihrer – auch sonst empfehlenswerten –
Reihe „Journal für das Pianoforte“. Er stammt aus der Feder des dänischen
Komponisten Niels Gade (1817-1890). Gade (1817-1890), der in Kopenhagen geboren
wurde und den größten Teil seines Lebens dort verbrachte, ging 1843 mit
königlichem Stipendium nach Leipzig zwecks weiterer Ausbildung. Dort freundete
er sich mit Robert Schumann an und fand in Felix Mendelssohn Bartholdy einen
eifrigen Förderer. 1848 kehrte er nach Dänemark zurück, übernahm eine Professur
und wurde dreizehn Jahre später zum Hofkapellmeister ernannt (1861), bevor er
1865 gemeinsam mit dem Komponistenkollegen (und nebenbei: seinem
Schwiegervater) Johann Peter Emilius Hartmann das Königliche Konservatorium.
1859 erschien – natürlich zunächst mit dänischen Titeln und
Texten (von Hans Christian Andersen) sein überaus reizvoller Zyklus „Der Kinder Christabend“ op. 36. Er
zeichnet die charakteristische Atmosphäre eines bürgerlichen Weihnachtsabends
nach, wie er im 19.Jahrhundert wohl oft begangen worden ist – und wie er auf
dem Titelblatt der deutschen Erstausgabe von 1860 bildlich dargestellt worden
ist. Wir sehen ein Rahmenwerk aus Tannengirlanden, die oben in
„Weihnachtsglocken“ enden – das erste Stück des Albums, das mit einem ostinaten
Motiv aufwartet und einen atmosphärischen Einstieg zaubert, dass einem der
Zimt- und Bratapfelgeruch schon beim Spielen in die Nase steigt. Rechts oben
zwischen den Girlanden ist der Einzug
ins Weihnachtszimmer abgebildet – zur Musik des
Weihnachtsbaum-Einzugs-Marsches, der mit seiner farbigen Harmonik und kindgerechten
„Niedlichkeit“ auch einen Platz in Tschaikowskys „Nussknacker“ verdient hätte.
Der Marsch führt weiter auf die linke Seite, wo bereits der Christbaum mit
angezündeten Kerzen wartet, unter dem Geschenke wie Puppen und Schaukelpferd
darauf warte, von den Kindern in Besitz genommen zu werden. Die freudige
Dankbarkeit der Mädchen und Knaben findet sich im unteren Drittel des
Titelblattes wieder: ein „Ringeltanz der Knaben“ und ein „Freudentanz“ der
kleinen Mädchen. Dass es sich dabei keineswegs um eine elfengleiche Balletteinlage (mit rosa
Flügelchen auf dem Rücken) handeln dürfte, legen sowohl der Illustrator als
auch der Komponist nahe: Nicht nur bei den Knaben geht es „Allegro vivace“ zur
Sache, auch die kleinen Mädchen warten mit einem recht sperrigen Walzermotiv
auf, das einige ruppige Wendungen enthält. Müde gespielt und getanzt und
hoffentlich beseligt von ihren Weihnachtsgaben, die Puppe im Arm und das
Schaukelpferd noch immer gesattelt, werden die Kinder schließlich mit „Gute
Nacht“ zu Ruhe und Schlaf mit Träumen vom schönen Christabend ins wohlig warme
Bett entlassen.
Sind die Kinder erst einmal zu Bett gebracht, können sich
die Erwachsenen und die älteren Geschwister noch einmal dem vierhändigen
Klavierspiel widmen. „Schlittenfahrt für
Zwei“ heißt der Band mit Bearbeitungen anglo-amerikanischer
Weihnachtsklassiker aus der Feder des altbewährten Mike Cornick. Neben dem
unvermeidlichen – und hier sehr pfiffig arrangierten „Jingle Bells“ finden sich
auch ein Medley aus traditionellen englischen Weisen, zwei sehr atmosphärische
Bearbeitungen von „Stille Nacht“ und „I Saw Three Ships“ und: Leroy Andersons
großartiges und ebenso unterhaltsames „Sleigh Ride“, das dem Band seinen Titel
gibt. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!
Niels Gade
Der Kinder Christabend, Kleine Klavierstücke op. 36
Herausgegeben von Hans Musch
Journal für das Pianoforte
Edition Schott ED 8688
EUR 9,95
Jürgen Borstelmann
Jazzy Xmas
Edition Breitkopf EB 8818
EUR 10,50
Mike Cornick
Schlittenfahrt für zwei Hände
Universal
Edition UE 21 454
EUR 17,95
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