Mittwoch, 23. Mai 2012

Ernst Wilhelm Wolf | Streichquartette

Ernst Wilhelm Wolf | Drei Quartette op. 1 | ISMN M-700296-59-9  | EUR 49,50 &
Drei Quartette op. 3 | ISMN M-700296-94-0 | EUR 49,50 | Partitur und Stimmen | Herausgegeben von Philipp Schmidt | Ortus Musikverlag


„Ernst Wilhelm Wolf war mehr als ein Genie, er war der redlichste Biedermann, der unbestechbarste Freund der Wahrheit; in seinem Herzen war Wärme, und in seinem Kopfe Licht; ihm mangelte nichts, als die elende Kunst seinen Rücken zu beugen.“


- August von Kotzebue


Hinter dem „Ortus Musikverlag“ stecken die beiden Musikwissenschaftler Tobias Schwinger und Ekkehard Krüger. Auf dem Programm des 1998 gegründeten Verlages steht vor allem Musik des 17. und 18. Jahrhunderts und der Gegenwart sowie Erstveröffentlichungen aus dem Kulturraum zwischen Elbe und Oder standen auf dem Programm: Kirchenmusik von Philipp Dulichius und Thomas Selle, Opern und Oratorien von Telemann und natürlich Werke des Berliner Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun. Inzwischen ist eine weitere Verlagsadresse in Berlin hinzugekommen und auch der Katalog hat sich beträchtlich erweitert: Berliner Klassik, Veröffentlichungen aus dem vor einiger Zeit wieder entdeckten legendären Archiv der Berliner Sing-Akademie, Hofmusik aus Dresden und Ludwigslust. Auch für die Schriften der „Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik“ ist man zuständig: Stichwort „Johann Friedrich Fasch“.

Aus dem Archiv der Berliner Sing-Akademie stammen die beiden dicken Bände mit Streichquartetten des Weimarer Hofkapellmeisters Ernst Wilhelm Wolf (1735-1792).

Schon in seinem ersten Quartett inszeniert Wolf die Vierstimmigkeit als evolutionäres Ereignis: Die zweite Geige eröffnet mit einem gradlinigen Motiv den Reigen, wird dabei von einem Cello unterstützt (dessen Stimme übrigens durchgehend mit Generalbassziffern versehen ist!) und ebenso unspektakukär wie effektvoll tritt auch die Bratsche hinzu. Als die erste Geige den melodisch ebenso anmutigen wie harmonisch reichen Gesang fortführt, zieht sich die bis dahin führende zweite Geige zurück und überlässt ihren Mitspielern das Feld. Echte Vierstimmigkeit wird erst nach vierzig Takten erreicht und hinterlässt einen umso tieferen Eindruck.

Man kann hieran sehr schön erkennen, dass Wolf kein nach bewährtem Rezept verfahrendes „Dutzendtalent“ gewesen ist, sondern ein echter Meister seines Fachs. Vor allem die demokratische Behandlung der drei Oberstimmen überrascht: nicht selten ist es – wie im 1. Streichquartett – die zweite Geige, die das musikalische Geschehen anführt. Und auch die Bratsche ist den beiden Violinen völlig gleichgestellt. Nur das Cello kann sich noch nicht recht emanzipieren und ist bewusst konservativ und nach den Grundsätzen eines funktionalen Generalbasses gestaltet. Ein Merkmal, das sich jedoch in den späteren Quartetten op. 3 vollständig verloren hat.

Stilistisch steht Wolf zwischen der C.P.E. Bachs differenziertem Sturm- und Drang-Stil und der Melodienseligkeit süddeutscher Komponisten, bietet jedoch so viel Eigenes, dass sich die Beschäftigung mit seiner Musik unbedingt lohnt.

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