Donnerstag, 24. Mai 2012

ZEN-Meister am Klavier - Interview mit Francis Schneider

"Buddhisten nennen diesen Zustand der absorbierten, selbstlosen, absoluten Konzentration Samadhi. Samadhi kann am besten durch Meditationsübungen erlangt werden, obgleich es auch Geh-Samadhi gibt, Koch-Samadhi, Sandburgbau-Samadhi. Wenn die selbstbezogene Persönlichkeit von uns abfällt, sind wir hingerissen und achtsam zur selben Zeit.“

Stephen Nachmanovitch, Free Play – Improvisation in Life and Art



Francis Schneider wurde 1951 in Basel geboren. Nach seinem Abitur studierte er zunächst Romanistik, Musikwissenschaft und Klavier, um sich anschließend in den Fächern Cembalo, Improvisation, Komposition weiterzubilden. Neben seiner kreativen Arbeit ist Schneider auch kulturpolitisch tätig, so zum Beispiel als Vorstandsmitglied des Schweizer Musikrates, als Vorstands- und Lektoratsmitglied der Schweizer Musikedition, als Stiftungsrat der Kulturstiftung „Pro Argovia“ und als Präsident der EPTA Schweiz.

1984 gründete Schneider den Nepomuk-Musikverlag, der sich bald vom Geheimtipp zu einem der interessantesten Verlage für neue Unterrichtsliteratur, zeitgenössische Musik und musikpädagogische Schriften entwickelte. Der Katalog umfasst 241 Titel von über 100 Autoren und Komponisten. 1997 erhielt der Nepomuk-Musikverlag den Preis der SUISA-Stiftung für Musik für die Edition von Werken Schweizer Komponisten. Das Nepomuk-Portfolio umfasst über 100 Autoren, darunter auch bekannte Namen wie Heinz Holliger oder Klaus Huber und natürlich ist auch der Verlagsgründer mit zahlreichen Veröffentlichungen vertreten. In ihnen beschäftigt er sich oft auf eigenwillige und originelle Weise mit einem seiner wichtigsten Themen: Stille – und was aus ihr entstehen kann.

Anfang 2011 übergab Schneider „Nepomuk“ an einen Verlag mit einer historischen Tradition, die bis zu Beethoven zurückreicht: seit Januar führt Breitkopf & Härtel das Nepomuk-Programm weiter. Für beide Partner wohl ein Gewinn: für Schneider, der nun wieder mehr Zeit für seine künstlerischen Projekte hat und für Breitkopf & Härtel, die ein gutsortiertes pädagogisches Programm in ihren Katalog aufnehmen und weiterführen können. Ein Bereich, der bislang durchaus noch „ausbaufähig“ gewesen war. Im Verlagsgeschäft geht es – wie in vielen anderen Bereichen – um die Herstellung einer „kritischen Masse“. Und da sorgen fast 250 neue Titel schon für viel Aufmerksamkeit. Und Francis Schneider hat wieder etwas mehr Zeit, sich anderen Themen zuzuwenden. 

„Fast nichts – und doch so viel“ heißt sein neues Werk – das erste, das unter dem Breitkopf-Signet erscheint – und es widmet sich dem Thema „Meditatives Improvisieren am Klavier“. Ging es in früheren Veröffentlichungen bereits immer wieder um das Thema der Reduktion, die Entkernung großer musikalischer Gebäude, so greift diese Neuerscheinung den Gedanken noch radikaler auf.

PianoNews-Autor hat sich mit Francis Schneider unterhalten und stellt dessen neue Veröffentlichung vor.


Manuel Rösler
Francis Schneider, in Ihren früheren Veröffentlichungen scheinen Orte und Bilder eine wichtige Rolle zu spielen. Ich denke da etwa an die „Klingenden Bilder, in denen Sie Gemälde alter Meister musikalisch „nachzeichnen“ oder die „Musik der Orte“, in der Sie die „musikalische Essenz“ von siebzehn Orten ziehen, zu denen Sie eine besondere Beziehung haben. Was bedeutet dieses Thema für Sie?


Francis Schneider
Ort ist Raum. Raum ist Klang. Ich denke dass – wie kann man das sagen – es einen Raum entsteht, aus dem ich schöpfen kann, der aber keinen Platz einnimmt. Das kann eine kleine Wohnung sein oder ein großes Haus, es ist nicht vermessbar. Ein Ort ist für mich auch ein innerer Raum und in diesem Raum passiert sehr viel.

Ich stelle mir vor, dass es neben dem hörbaren Strom von Tönen und Musik auch noch einen unhörbaren Strom gibt. Die Improvisations-Modelle, die ich in „Fast nichts –und doch so viel“ vorstelle, sind Möglichkeiten, sich diesen (verborgenen) Strom zu erschließen, in ihn hineinzutauchen und ihn hörbar zu machen.

Und die Frage ist für mich, wie gelange ich dort hinein, wie kann ich diesen Raum für mich nutzen. Mit Bildern geht es mir ganz ähnlich: ich denke, dass es hinter der sichtbaren Welt noch viele Zeichen und Zeichnungen und Bilder gibt, die auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind. Und die möchte ich gerne kennenlernen und auch diese Räume betreten.


Manuel Rösler
Wie lassen sich diese Räume betreten? Welche Mittel stehen Ihnen dafür zur Verfügung?

Francis Schneider
Es sind schon musikalische Mittel – ich werde innerlich leer und warte ab, was passiert. Ich will nicht etwas „tun“ – das ist ja etwas, womit wir ständig beschäftigt sind: Wir sehen nach, was in den Noten steht und bemühen uns, das adäquat zu realisieren. Ich möchte natürlich auf keinen Ton der großen Meister verzichten. Aber es gibt auch das andere: Dass ich still werde. Ruhig werde. Leer werde. Und was passiert dann? Was für Musik taucht auf, wenn ich einmal in mich hineinhorche?

Die Annäherung an diesen Strom kann nur aus der Ruhe heraus geschehen, aus dem entspannten Geschehen-Lassen, und nicht aus dem bewussten Wollen, dass etwas geschieht. Darum sind hier Ruhe, Gelassenheit und Meditation eng mit dem schöpferischen Prozess verbunden.

Dabei geht es unter anderem darum zurückzunehmen, was man weiß, und vieles von dem, was man gelernt hat, beiseite zu schieben. Man muss leer werden, damit dieser verborgene Strom und die Spielenden sich finden und miteinander in Beziehung treten können. Man muss sich vergessen, damit ‚es‘ stattfinden, damit die Musik dieses Stromes unter unseren Händen zum Klingen kommen kann.


Manuel Rösler
Die Stille spielt ja eine wichtige Rolle in Ihrer Musik.

Francis Schneider
In einer lauten Welt ist Stille überhaupt etwas sehr Erstrebenswertes. Aber es geht auch noch um etwas Anderes. Lassen Sie mich zu einem Bild greifen: Wenn wir einen perfekten Kreis zeichnen wollen, dann nehmen wir vielleicht einen Zirkel oder Rechenpapier. Oder wir zeichnen vielleicht zehn Kreise und wählen dann den besten daraus aus. Der Zen-Mönch setzt sich hin, schließt die Augen und wartet. Vielleicht zehn Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Und wenn er den Kreis spürt oder selber zum Kreis geworden ist, öffnet er die Augen und malt in einer einzigen Bewegung den perfekten Kreis. Und so zu musizieren wäre doch schön: Nicht „machen“ wollen, sondern geschehen lassen.


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