Stephen Nachmanovitch, Free Play – Improvisation in
Life and Art
Francis
Schneider wurde 1951 in Basel geboren. Nach seinem Abitur studierte er zunächst
Romanistik, Musikwissenschaft und Klavier, um sich anschließend in den Fächern Cembalo,
Improvisation, Komposition weiterzubilden. Neben seiner kreativen Arbeit ist
Schneider auch kulturpolitisch tätig, so zum Beispiel als Vorstandsmitglied des
Schweizer Musikrates, als Vorstands- und Lektoratsmitglied der Schweizer
Musikedition, als Stiftungsrat der Kulturstiftung „Pro Argovia“ und als
Präsident der EPTA Schweiz.
1984
gründete Schneider den Nepomuk-Musikverlag, der sich bald vom Geheimtipp zu
einem der interessantesten Verlage für neue Unterrichtsliteratur,
zeitgenössische Musik und musikpädagogische Schriften entwickelte. Der Katalog
umfasst 241 Titel von über 100 Autoren und Komponisten. 1997 erhielt der
Nepomuk-Musikverlag den Preis der SUISA-Stiftung für Musik für die Edition von
Werken Schweizer Komponisten. Das Nepomuk-Portfolio umfasst über 100 Autoren,
darunter auch bekannte Namen wie Heinz Holliger oder Klaus Huber und natürlich
ist auch der Verlagsgründer mit zahlreichen Veröffentlichungen vertreten. In
ihnen beschäftigt er sich oft auf eigenwillige und originelle Weise mit einem
seiner wichtigsten Themen: Stille – und was aus ihr entstehen kann.
Anfang
2011 übergab Schneider „Nepomuk“ an einen Verlag mit einer historischen
Tradition, die bis zu Beethoven zurückreicht: seit Januar führt Breitkopf &
Härtel das Nepomuk-Programm weiter. Für beide Partner wohl ein Gewinn: für
Schneider, der nun wieder mehr Zeit für seine künstlerischen Projekte hat und
für Breitkopf & Härtel, die ein gutsortiertes pädagogisches Programm in
ihren Katalog aufnehmen und weiterführen können. Ein Bereich, der bislang
durchaus noch „ausbaufähig“ gewesen war. Im Verlagsgeschäft geht es – wie in
vielen anderen Bereichen – um die Herstellung einer „kritischen Masse“. Und da
sorgen fast 250 neue Titel schon für viel Aufmerksamkeit. Und Francis Schneider
hat wieder etwas mehr Zeit, sich anderen Themen zuzuwenden.
„Fast
nichts – und doch so viel“ heißt sein neues Werk – das erste, das unter dem
Breitkopf-Signet erscheint – und es widmet sich dem Thema „Meditatives
Improvisieren am Klavier“. Ging es in früheren Veröffentlichungen bereits immer
wieder um das Thema der Reduktion, die Entkernung großer musikalischer Gebäude,
so greift diese Neuerscheinung den Gedanken noch radikaler auf.
PianoNews-Autor
hat sich mit Francis Schneider unterhalten und stellt dessen neue Veröffentlichung
vor.
Manuel Rösler
Francis
Schneider, in Ihren früheren Veröffentlichungen scheinen Orte und Bilder eine
wichtige Rolle zu spielen. Ich denke da etwa an die „Klingenden Bilder, in
denen Sie Gemälde alter Meister musikalisch „nachzeichnen“ oder die „Musik der
Orte“, in der Sie die „musikalische Essenz“ von siebzehn Orten ziehen, zu denen
Sie eine besondere Beziehung haben. Was bedeutet dieses Thema für Sie?
Francis Schneider
Ort
ist Raum. Raum ist Klang. Ich denke dass – wie kann man das sagen – es einen
Raum entsteht, aus dem ich schöpfen kann, der aber keinen Platz einnimmt. Das
kann eine kleine Wohnung sein oder ein großes Haus, es ist nicht vermessbar.
Ein Ort ist für mich auch ein innerer Raum und in diesem Raum passiert sehr
viel.
Ich
stelle mir vor, dass es neben dem hörbaren Strom von Tönen und Musik auch noch
einen unhörbaren Strom gibt. Die
Improvisations-Modelle, die ich in „Fast nichts –und doch so viel“ vorstelle,
sind Möglichkeiten, sich diesen (verborgenen) Strom zu erschließen, in ihn hineinzutauchen
und ihn hörbar zu machen.
Und
die Frage ist für mich, wie gelange ich dort hinein, wie kann ich diesen Raum
für mich nutzen. Mit Bildern geht es mir ganz ähnlich: ich denke, dass es
hinter der sichtbaren Welt noch viele Zeichen und Zeichnungen und Bilder gibt,
die auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind. Und die möchte ich gerne
kennenlernen und auch diese Räume betreten.
Manuel Rösler
Wie
lassen sich diese Räume betreten? Welche Mittel stehen Ihnen dafür zur
Verfügung?
Francis Schneider
Es
sind schon musikalische Mittel – ich werde innerlich leer und warte ab, was
passiert. Ich will nicht etwas „tun“ – das ist ja etwas, womit wir ständig
beschäftigt sind: Wir sehen nach, was in den Noten steht und bemühen uns, das
adäquat zu realisieren. Ich möchte natürlich auf keinen Ton der großen Meister
verzichten. Aber es gibt auch das andere: Dass ich still werde. Ruhig werde.
Leer werde. Und was passiert dann? Was für Musik taucht auf, wenn ich einmal in
mich hineinhorche?
Die
Annäherung an diesen Strom kann nur aus der Ruhe heraus geschehen, aus dem
entspannten Geschehen-Lassen, und nicht aus dem bewussten Wollen, dass etwas
geschieht. Darum sind hier Ruhe, Gelassenheit und Meditation eng mit dem
schöpferischen Prozess verbunden.
Dabei
geht es unter anderem darum zurückzunehmen, was man weiß, und vieles von dem,
was man gelernt hat, beiseite zu schieben. Man muss leer werden, damit dieser
verborgene Strom und die Spielenden sich finden und miteinander in Beziehung
treten können. Man muss sich vergessen, damit ‚es‘
stattfinden, damit die Musik dieses Stromes unter unseren Händen zum Klingen
kommen kann.
Manuel Rösler
Die
Stille spielt ja eine wichtige Rolle in Ihrer Musik.
Francis Schneider
In
einer lauten Welt ist Stille überhaupt etwas sehr Erstrebenswertes. Aber es
geht auch noch um etwas Anderes. Lassen Sie mich zu einem Bild greifen: Wenn
wir einen perfekten Kreis zeichnen wollen, dann nehmen wir vielleicht einen
Zirkel oder Rechenpapier. Oder wir zeichnen vielleicht zehn Kreise und wählen
dann den besten daraus aus. Der Zen-Mönch setzt sich hin, schließt die Augen
und wartet. Vielleicht zehn Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Und wenn er
den Kreis spürt oder selber zum Kreis geworden ist, öffnet er die Augen und
malt in einer einzigen Bewegung den perfekten Kreis. Und so zu musizieren wäre
doch schön: Nicht „machen“ wollen, sondern geschehen lassen.
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