Mittwoch, 23. Mai 2012

Mieczysław Weinberg | Streichquartett Nr. 13





Mieczysław Weinberg | Streichquartett Nr. 13 | Partitur und Stimmen | Edition Sikorski 2413 | EUR 25,-


„Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert widerfuhren.“

Mieczysław Weinberg


Dmitrij Schostakowitsch: der Übervater der russischen Musik des 20. Jahrhunderts warf einen langen Schatten, der den Blick auf andere Komponisten verstellte. Schostakowitschs 15 Sinfonien gehören zum eisernen Bestand der Moderne, ebenso wie die Streichquartette und die Klaviermusik und seine „Lady Macbeth von Mzensk“ wurde die russische Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin.

Mieczysław Weinberg hingegen ist nur wenigen Musikfreunden ein Begriff. Im Jahre 1919 wird Weinberg in eine Warschauer Musikerfamilie geboren. Rasch zeigt sich eine außergewöhnliche Begabung, der Junge komponiert autodidaktisch erste Klavierstücke und Lieder, mit sechzehn auch seine erste Filmmusik. Am Konservatorium wird er von Józef Turczynski zu einem exzellenten Pianisten ausgebildet. Als Deutschland 1939 Polen überfällt, flüchtet er mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester in die Sowjetunion. Ester ist den körperlichen Strapazen jedoch nicht gewachsen und kehrt nach wenigen Kilometern um. Da sieht Weinberg sie zum letzten Mal. Erst ein Vierteljahrhundert später wird er erfahren, wo die Nazis seine Familie ermordet haben. Ein Trauma, das ihn bis ins hohe Alter verfolgt: Komponieren ist für ihn vor allem Trauerarbeit – mit Musik will er an das tragische Schicksal seiner Familie und Millionen anderer Menschen erinnern.

Seit der im vergangenen Jahr erfolgten Uraufführung seiner Oper „Die Passagierin“ auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele scheint hat auch der Konzertbetrieb die Musik von Mieczysław Weinberg entdeckt. Und zu entdecken wäre einiges: Der enge Freund Schostakowitschs schrieb mehr Sinfonien, mehr Streichquartette und mehr Opern als dieser, und vieles davon steht den Werken seines großen Mentors in nichts nach. Schostakowitsch selbst hat das immer wieder neidlos anerkannt. Er empfahl und protegierte den vierzehn Jahre Jüngeren bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Dem Freund und Förderer ist auch das 13. Streichquartett gewidmet. Nach seinem zwölften Quartett (1969-70) legte der Komponist eine längere Pause ein, um sich vier Opern, drei Sinfonien und anderen großen Projekten zu widmen. Bis 1981 folgten dann die Quartette Nr. 13-16. Das vorliegende Werk besteht – wie auch das dreizehnte Quartett seines Freundes Schostakowitsch – aus einem einzigen Satz von ca. 15 Minuten Spieldauer. Es war Weinbergs erstes Quartett nach dem Tod Schostakowitschs. Es ist ein sehr intimes und berührendes Werk, voll gefasster Trauer und Wärme – wie ein Gespräch unter Freunden, die sich des verstorbenen Freundes erinnern. Wie Schostakowitsch hält auch Weinberg das tonale Zentrum in der Schwebe und schafft auf diese Weise ein ganz eigenes „clair obscure“.


Erschienen in Ensemble 5-2011


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