In der Stube hat jemand in der Nacht heimlich Notenständer aufgebaut und bequeme Stühle dazugestellt. Durch die dunkle Nacht stapfen vermummte Gestalten mit Fackeln und Laternen und mit großen Kästen und kleinen Bündeln, in denen Musikinstrumente vor dem Frost geschützt werden: ein kostbares Violoncello, zwei Flöten, zwei Bratschen. Geigen und Klarinetten, eine Oboe, ein Fagott, ein Horn. Ein ganzes Orchester, das in die von warmen Kerzenschein illuminierte Stube tritt, wo der Hausherr Punsch und Gebäck für die Musiker hat bereitstellen lassen. Leise und sorgfältig werden Saiten gezupft und Wirbel gedreht, Blasinstrumente zusammengesteckt und wieder auseinandergenommen. Dann ist alles bereit. Und mitten in der Nacht erklingt Musik…
Johann Baptist Vanhal hat die oben beschriebene Szene selbst erlebt: als leibeigener Organist und Chorleiter in einem kleinen böhmischen Dorf, als Kapellmeister eines sächsischen Barons, als angesehener Musiklehrer und Komponist wird er oft in der Nacht aufgespielt haben. Seine Zeitgenossen liebten das „Notturno“, das nächtliche Musizieren zu Ehren einer angesehenen Person oder eines guten Freundes. Die von Andreas Kohn in der Schweriner Landesbibliothek entdeckte Partitur ist mit zwei Flöten und drei dunkel timbrierten Streichinstrumenten reizvoll besetzt und bietet mit seinen drei Sätzen eher Besinnliches. Selbst der einleitende Marsch – charakteristisch für dieses Genre – wirkt verhalten und wie eine Erinnerung an vergangene Zeiten. Dem bäuerisch trottenden Menuett folgt ein bukolisches Andante, das mit einem besinnlichen Pianissimo endet. Die Bratschen sind aus ihrer Dienerrolle befreit und konzertieren fröhlich mit den beiden Flöten, lediglich der Cellopart erinnert an einen brav dahinschlurfenden, in langem Dienst ergrauten Hausdiener, der nur alle paar Minuten nachsehen geht, ob die Tonika noch da ist. Sie ist.
Johann Baptist Vanhal
Notturno in G für 2 Flöten, 2 Bratschen und Violoncello
Erstausgabe, herausgegeben von Andreas Kohn
Carus Verlag CV 16.064
EUR 6,80
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