Dienstag, 1. Februar 2011

Mit Fräulein Mabel in der Straßenbahn: Lieder und Chansons von Heinz Erhardt



Dass der Deutsche keinen Humor habe, gehört zu den liebsten Vorurteilen, die in der Welt kursieren. Das Zerrbild des humorlosen deutschen Spießers ist natürlich auch im eigenen Land eine beliebte Redefigur, ein rhetorischer Small-Talk-Snack auf jeder coolen Party. Und natürlich ist der Spießer immer der andere: der Nachbar, der Onkel oder der Arbeitskollege. Doch lange vor Blödelbarden und Berufszynikern gab es da einen, der das Gewand des Spießers lustvoll überstreifte, einen Konsenskomiker und Kleinbürger-Poeten, der dem Volk mit leichtem Witz und onkelhaftem Charme die schwere Nachkriegszeit erleichterte: Heinz Erhardt. 

 Der Sohn eines ostpreußischen Theaterkapellmeisters war auch ein profunder Musiker: Ein Band mit Klaviermusik, der jüngst ebenfalls bei Ricordi erschienen ist, zeigt uns den Komiker als kenntnisreichen Zeitgenossen Erwin Schulhoffs und Paul Hindemiths. Freilich ein Zeitgenosse, der die Zeit nicht so ernst nahm und ernsthafte Trauermärsche mit skurilen Spielanweisungen versah. Was war nur wieder für ein Schelm… 


Dass er auch Chansons zu komponieren verstand, gehörte in seiner Generation zum selbstverständlichen Handwerkszeug eines „Unterhalters“. Heinz Erhardts Lieder – „seine Lieder“ – sind ja eigentlich für einen singenden Pianisten geschrieben, der zur Not auch über wenig Stimme verfügen darf. Nur blitzschnell artikulieren sollte er können, etwa um die berüchtigte Schnellsprech-Stelle in „Mein Mädchen“ meistern zu können: eine Nummer, die ein junger und schlanker Erhardt bereits 1944 vor deutschen Soldaten zum Besten gab. Der vorliegende Band enthält Perlen wie das hinterhältige Albumblatt „Fräulein Mabel“, das heiter-verzweifelte Liebeslied „Ich sah dich in der Straßenbahn“ oder die politisch erfrischend unkorrekte Moritat vom „Mi-Ma-Muselmann, der trank sich einen Di-Da-Dusel an“.

Es sind eigentlich kleine Spielszenen: mal ernst, mal heiter und immer ein wenig subversiv. Das liegt oft an den Texten, öfter aber noch an subversiv eingesetzten musikalischen Mitteln. Besonders schön in „Pappi’s Wiegenlied“, von dem im Film „Witwer mit fünf Töchtern“ nur eine Strophe zu hören ist, das aber in Wirklichkeit viel, viel länger dauert, weil das Kind einfach nicht schlafen will. Drei Foxtrotts und einer ebenso ausgedehnten wie spieldosenhaften Coda bedarf es, bis Pappi endlich in einen Stoßseufzer ausbrechen darf: „Gott sei Dank, jetzt pennt er endlich!“



Heinz Erhardt 
Seine Lieder für Gesang und Klavier
Ricordi Sy. 2788
EUR 24,80


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