Da saß also ein ziemlich dicker, gemütlicher Mann an einem Klavier, und die Wochenschau sprach mit seiner Stimme: „Ich freie mich, daß meine Melodien in der ganzen Welt gespielt werden, und ich heere, daß man mich nun auch mal sehen mechte… und daher…“ Und daher spielte er uns zunächst auf einem sehr mäßigen Klimperkasten je ein paar Takte aus seinen alten Operetten, von denen ja die „Lustige Witwe“ wirklich hübsche Musik enthält. Und dann spielte er dieses, und dann spielte er jenes, und warum soll er nicht, das wäre ja alles gut und schön.
Kurt Tucholsky, Lehár am Klavier
„Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini“. So böse urteilte im August 1931 Peter Panter alias Kurt Tucholsky in der Weltbühne, nachdem er einen Bericht über den Komponisten in London in einer Kino-Wochenschau gesehen hatte. Die Melodienseligkeit einer Epoche, in der sich die Katastrophe längst abzeichnet („Allmächtiger Vater im Himmel, der du die Käsemaden erschaffen hast und den Hitler“ heißt es im gleichen Artikel), ist dem Verfasser mehr als suspekt.
Dabei hat der kleine Mann aus dem ungarischen Komaróm eigentlich sein Lebtag nichts anderes werden wollen als ein „ernsthafter“ Komponist. Man höre nur einmal in sein symphonisches Frühwerk hinein – etwa die „Symphonische Vision: Meine Jugendzeit, die ohne Bedenken Smetanas „Ma Vlast“-Zyklus zur Seite gestellt werden kann oder die Fantasie „Fieber“ aus dem Jahr 1915 für Tenor und großes Orchester, in der im Stile eines Melodrams die Fieberphantasien eines sterbenden Soldaten dramatisch in Töne gefasst sind. Hierpräsentiert sich hier eine halluzinatorisch-gespenstische Collage aus Bildern und Klängen von Schlachtfeldern, Paraden und walzerseligen Erinnerungen auf beinahe filmische Weise.
Sein Oeuvre für Klavier ist überschaubar: zwei Sonaten und eine Fantasie, die nun im – von Lehár selbst gegründeten – Glocken-Verlag erschienen sind und im deutschsprachigen Raum von der Edition Weinberger ausgeliefert werden. Die Handschrift Lehárs ist auch hier unverkennbar: eingängige Themen, raffiniert harmonisiert und ein gutes Gespür für die musikalische Form, das auch eine halbstündige Klaviersonate zusammenzuhalten vermag. Dies ist insofern bemerkenswert, als der Komponist zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gerade einmal achtzehn Jahre alt war und sich auf dem Gymnasium in Sternberg auf seine Matura vorbereitete.
Der Klaviersatz ist durchgehend elegant und durchsichtig und erinnert oft an den Klavierauszug ungeschriebener Orchesterwerke– von jugendlichem Imponiergehabe findet sich keine Spur. Dafür aber eine ganze Reihe von Stilmitteln, die Lehár sein ganzes Leben hindurch beibehalten sollte. Da sind zum Beispiel die Bordunquinten im dritten Satz der F-Dur-Sonate, über der sich die Csárdás-Version einer Bach’schen Invention entfaltet: hier fühlt man sich unwillkürlich in das erste Bild des „Grafen von Luxemburg“ versetzt. Ebenso wie die grübelnde Eröffnungen der d-moll-Sonate und der Fantasie Modell gestanden haben könnten für einige der beklemmenden Stellen im „Zarewitsch“.
Als Dvořák 1887 zwei Kompositionen Lehárs gesehen hatte (es dürfte sich wahrscheinlich um seine Klaviersonaten gehandelt haben), soll er den jungen Musiker ermuntert haben: „Hängen Sie die Geige an den Nagel und komponieren Sie lieber.“ Ein weiser Ratschlag.
Klaviermusik von Franz Lehár
Fantasie für Klavier
Glocken Verlag
ISMN M-57006-114-3
EUR 12,50
Sonate in d-moll für Klavier
Glocken Verlag
ISMN 979-0-57006-113-6
EUR 14,90
Sonate in F-Dur für Klavier
Glocken Verlag
ISMN 57006-112-9
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