Montag, 7. Februar 2011

Johann Gottlieb Graun: Konzert für Violine, Viola und Orchester c-moll




Der Musik der sogenannten „Berliner Klassik“ haftet in der deutschen Musikgeschichte immer ein wenig der Ruf des „provinziellen“, zweitklassigen Komponierens an. Während in Wien Haydn, Mozart und Beethoven den Ton vorgaben oder sich zweihundert Jahre lang zwischen Dresden, Halle und Leipzig mehr geniale Musiker tummelten als in jeder anderen Region Europas, hießen die führenden Köpfe in der preußischen Residenzstadt Carl Philipp Emanuel Bach, Christoph Schaffrath, Johann Peter Reichardt, Carl Zelter oder eben Johann Gottlieb Graun. Dass sich die Komponisten der Berliner Schule zudem als Förderer einer Laienmusikkultur verstanden, hat dazu geführt, dass sich neben einigen Juwelen eben auch unfassbar viel Gebrauchsmusik im gewaltigen Bestand der Berliner Staatsbibliothek findet, etwa im Archiv der Berliner Sing-Akademie, das vor knapp zehn Jahren seinen Weg aus der Ukraine zurück nach Deutschland gefunden hat.

Einer dieser Juwelen ist gewiss Johann Gottlieb Grauns Concerto für Violino concertante, Viola da gamba, Streicher und Basso continuo, dass in der Edition Güntersberg sowohl in der Originalbesetzung als auch in der überlieferten Fassung für die Soloinstrumente Violine und Viola vorgelegt werden.

Das dreisätzige Werk fasziniert durch seine Mischung aus spätbarocker Musizierhaltung und einer dramatischen Einbeziehung neuer klanglicher und formaler Ideen, wie sie zur Mitte des 18. Jahrhunderts im Gefolge von „Sturm und Drang“ auch in der Musik Einzug hielten: rascher Wechsel von forte und piano (regelmäßig sogar pianissimo), lange Diminuendo-Passagen, die wie in Zeitlupe zerdehnte Sforzati wirken und die das ebenso spielerisch wie todernst wirkenden Wechselspiel der beiden Solisten, die sich passagenweise ins Wort fallen treiben den ersten Satz in der Schicksalstonart c-moll über zweihundert Takte lang zu einem furiosen Zwischenhalt.

Die Spannung löst ein wunderbar singendes „Adagio con sordini“ in g-moll, das von der Bratsche (resp. Gambe) nicht selten zweistimmiges Spiel verlangt, so dass die Solisten eine regelrechte Concertisten-Gruppe bilden, welche dem Tutti als eigenes Ensemble gegenüberstehen. Nur ein Beispiel für Grauns Instrumentationskunst, die sich in allen Sätzen den besten Werken Haydns ebenbürtig zeigt. Die beiden Hornstimmen, die Sing-Akademie-Chef Carl Zelter um 1800 der Partitur hinzugefügt hat, sind also eigentlich unnötig – sie zerstören meines Erachtens sogar das von Graun überaus sorgfältig ausgehörte Gleichgewicht der Klänge. Dennoch – weil sie eben auch schon historisch sind – haben sie zu Recht ihren Einzug in die (im Übrigen mustergültige) moderne Erstausgabe gefunden.

Das Finale hat es dann noch einmal in sich: kein hurtig dahin huschendes 6/8-Rondo, wie ich es erwartet hätte, sondern eine schwergewichtige, unglaublich farbige und dramatische Polonaise, die noch einmal alle Register spätbarocker Affektkunst zieht.



Johann Gottlieb Graun
Konzert für Violine, Viola und Orchester c-moll
Herausgegeben von Lysiane Brettschneider und Günter von Zadow
Edition Güntersberg
Partitur G-070-1 / Stimmensatz G-070-2 / Klavierauszug G-070-3
EUR 29,- / EUR 49,- / EUR 24,80



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