Die beliebtesten und erfolgreichsten Komponisten im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts hießen nicht etwa Joseph Haydn und Wolfgang Amadé Mozart sondern Ignaz Pleyl, Antonio Salieri und – Leopold Kozeluch: „ohne Wiederrede, bey jung und alt, der allgemein beliebtste, unter unsern itzt lebenden Komponisten“ verzeichnet Gerbers Lexikon der Tonkünstler 1790 und urteilt etwas umständlich, seine Werke zeichneten sich durch „Munterkeit und Grazie, die edelste Melodie mit der reinsten Harmonie und gefälligsten Ordnung in Absicht der Rhythmik und Modulation“ aus. Mit 50 Klavierkonzerten, 30 Sinfonien, 60 Klaviersonaten, mit diversen Solokonzerten sowie mit Opern, Kantaten, Balletts und Oratorien war Kozeluch als Komponist äußerst produktiv. Doch weder in den Konzertsälen noch im Unterrichtsraum ist sein Name geläufig. Mit der ersten Urtextausgabe der Claviersonaten (soeben ist der erste Band erschienen) im Bärenreiter Verlag – betreut durch den Barock-Spezialisten Christopher Hogwood – soll sich das nun ändern.
Kozeluchs Lebensweg ist nicht untypisch für die kurze Regierungszeit Josephs II.: in nur zwanzig Jahren stieg der 1747 geborene Sohn eines Prager Schuhmachers zum kaiserlichen Kapellmeister auf und starb 1818 hochgeehrt, wohlhabend – und weitgehend vergessen. Was ihm viele Jahre Anerkennung und Aufträge einbrachte, nämlich die Fähigkeit „natürlich, anmutend und fließend“ zu komponieren mit „gut phrasiertem“ Rhythmus, „gut plazierten“ Akzenten und „reiner Harmonie“, wurde schon bald nach seinem Tod gegen ihn verwendet. Zu rein, zu gefällig und zu harmlos. Ein bloßer Vorläufer, ein Bindeglied, ein „Kleinmeister“.
Dabei war er ein exzellenter Komponist von eigenem Rang, der Schubert und Beethoven sowohl in ihrem tragisch-pathetischen Ausdruck vorwegnahm (wie in den Einleitungen zu seinen Sonaten in Moll-Tonarten), als auch eine viel gepriesene Form des langsamen Satzes propagierte. Für diese Einschätzung zitiert Hogwood als Zeitzeugen das britische „Monthly Magazine“ von 1800: „Die Instrumentalmusik scheint jetzt perfekter zu sein als in allen früheren Perioden. Wenn die modernen Pianoforte-Sonaten auch nicht die Wildheit und Originalität von Domenico Scarlattis Cembalo-Musik haben, sind sie doch planvoller, melodiöser, und in einigen Adagios (besonders von Koželuch) ist die Melodie so kantabel und expressiv, dass es die Vollendung von dieser Art Musik zu sein scheint“.
Selbst wenn man dieses hohe Lied nach zwei Jahrhunderten eine Terz tiefer anstimmen muss – der klavierpädagogische Wert von Koželuchs Sonaten ist, gerade auch im Vergleich zu den Sonaten von Clementi, Dussek oder Kuhlau, beachtlich. Denn das Klavierwerk des böhmischen Meisters ist zwar für den Gebrauch von Laien und für musikalische Privatunterhaltungen konzipiert, ist aber „klassisch“ im besten Sinne; durchdacht konstruiert und eingänglich komponiert, „zeigen sie präzise bis zur Perfektion die Eigenschaften, die Theoretiker für eine Sonate am Ende des 18. Jahrhunderts beschrieben haben.“ (Hogwood).
Die technischen Anforderungen bewegen sich im soliden Mittelfeld – nichts, was man nicht nach zwei oder drei Jahren Unterricht bewältigen könnte. Die Bärenreiter-Ausgabe ist wie gewohnt exzellent gedruckt und mit einem umfangreichen Anmerkungs-Apparat ausgestattet. Für erfahrene Klavierspieler dürfte diese Ausgabe eine echte Entdeckung darstellen.
Leopold Kozeluch
Sämtliche Sonaten für Clavier, Band 1
Herausgegeben von Christopher Hogwood
Bärenreiter Verlag BA 9511
EUR 39,95
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