„In der Musik von Mel Bonis ist eine Form von Eleganz [...], die so tut, als schließe sie die Augen vor ihrer eigenen Tiefe, um sie desto deutlicher hervortreten zu lassen... Hinter der melodischen Leichtigkeit, hinter dieser Musik, bei der man sich mühelos vorstellen kann, dass sie von jungen Mädchen gespielt wird, die eben aus einem Roman von Paul de Kock oder Ponson du Terrail kommen, enzdecken wir eine ganze Palette von gefühlen..., die aus diesen Stücken mehr als nur Salonromanzen machen.“
Lionel Pons
Man muss es vielleicht immer wieder sagen: Mélanie Domange (1858-1937), die als Komponistin unter ihrem Mädchennamen Mel Bonis schrieb und veröffentlichte, gehört zu den großen Musikerpersönlichkeiten im Frankreich der Belle Epoque. Dass sie es im Gedächtnis der Nachwelt nicht ist, hat zwei Gründe: Erstens den radikalen stilistischen Wandel, der in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch die französische Musik erfasste und auch ihre Werke hinwegfegte. Und zweitens die Tatsache, dass ihr als Frau nicht dieselbe gesellschaftliche Akzeptanz zuteil geworden ist wir ihren männlichen Studienkollegen – unter ihnen Gabriel Pierné und Claude Debussy. Eine Diskriminierung, deren Wirkung bis heute anhält und die einer hervorragenden Komponistin auch siebzig Jahre nach ihrem Tod die Anerkennung verweigert, die ihr gebührt.
Mel Benis hat außer einigen Orchesterwerken vor allem Kammermusik und Klaviermusik hinterlassen, die (im Sinne ihres Förderers Cesár Franck) sich in der Form traditionell gibt, gleichzeitig aber impressionistische Stilelemente, Folklorismen und Exotismen selbstverständlich in den Schaffensprozess einbezieht..Somit schließt sie die Lücke zwischen der Generation eines Gabriel Fauré oder Cesár Franck und den Neutönern um Ravel und die „group des six“ und könnte somit zu den wichtigsten Protagonisten der französischen Postromantik gehören. Wenn man ihre Musik doch endlich wieder aufführen wollte!
Vielleicht gelingt es ja über den Umweg der häuslichen Kammermusik – im vorliegenden Fall mit dem sechsten Band der Gesamtausgabe von Mel Bonis‘ Klavierwerk, der dem Schaffen für Klavier zu vier Händen. Den Anfang macht eine Pavane, die würdig wäre, der berühmten fis-moll-Pavane von Gabriel Fauré an die Seite gesetzt zu werden. Walter Labhart hat der Musik von Mel Bonis eine „Mischung von Formvollendung und zarter Expressivität, von instrumentaler Brillanz und fein abgestufter Klangkultur“. Hier finden wir alle diese Eigenschaften in Vollendung.
Schon zu Lebzeiten der Komponistin erfolgreich waren die „Six Valses-Caprice op. 87“. Es scheint, als habe Mel Bonis mit spielerischer Leichtigkeit einmal ausprobieren wollen, was aus der traditionellen Form noch zu holen wäre. Und das ist einiges.
Den Abschluss dieses Bandes bildet ein Stück, das durch seine Komplexität, moderne Machart und technischen Anforderungen hervorsticht: „Le Songe de Cléopâtre“, eines von drei Orchesterwerken, das von Mel Bonis nicht herausgegeben wurde. Erschien ihr der moderne Stil des Werkes – das wohl erst nach dem 1. Weltkrieg entstanden ist – als zu gewagt in Hinblick auf eine Veröffentlichung? Man muss bedenken, um wieviel schwerer sie es als Frau hatte, ihre Musik aufführen zu lassen. Und wenn es sich dann noch um Musik handelt, die der ihrer männlichen Kollegen gar nicht so unähnlich ist (manches erinnert an Ravels „Sherezade“) und so gar nicht dem Erwartungshaltung „weiblicher Musik“ entspricht – dann belässt man ein Meisterwerk schon einmal in der Schublade. Die hier vorgelegte Fassung für Klavier zu vier Händen ist zeitgleich mit der Orchesterfassung entstanden und erfordert von den Interpreten neben soliden technischen Fertigkeiten auch die Fähigkeit, „in Farben zu musizieren“. Dann jedoch erschließt sich ein kleines Wunderwerk an ägyptophilenMelodien, Farben und Harmonien. Was sich auf dem Klavier schon so vortrefflich ausnimmt, muss im Orchester noch viel besser wirken. Da möchte man doch gleich eine Bittschrift an den GMD seines nächstgelegenen Orchesters verfassen.
Mel Bonis
Klaviermusik, Band 6: Werke zu vier Händen
Herausgegeben von Eberhard Mayer
EUR 25,-
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