Montag, 12. August 2013

Josef Gabriel Rheinberger, Streichquintett in a-moll op. 82




Auch ein Jahrhundert nach dem Tod ihres Urhebers birgt die Musik Josef Rheinbergers ausreichend Konfliktstoff in sich, um unter Musikern und Musikliebhabern für Gesprächsstoff und zuweilen kontroverse Diskussionen zu sorgen. Vielleicht ist es ihre auf den ersten Blick so offensichtlich erscheinende Harmlosigkeit: die fein-säuberlich in Perioden von vier und acht Takten geschachtelten Einfälle, die an Mendelssohn geschulte Harmonik und die klar gegliederten Melodien – es scheint, als hätten die von Liszt und seinen neudeutschen Jüngern komponierten musikalischen Dichtungen und die von dem genialen Monomanen Richard Wagner ersonnenen Musikdramen auf Rheinberger überhaupt keine Wirkung erzielt. Dessen Musik ist nicht einmal konterrevolutionär – der Liechtensteiner Professor nimmt von den musikalischen Entwicklungen um ihn herum schlicht und ergreifend keine Kenntnis. Dass er sich auch noch hartnäckig weigerte, seinem zutiefst bürgerlichen Lebenslauf wenigstens einen Hauch von Künstlertum zu verleihen, dürfte ihn in den Augen seiner Gegner endgültig erledigt haben.

1839 geboren, gehört Rheinberger zur mittleren Generation seines Jahrhunderts: jünger als Brahms, älter als Bruckner. Das sichert ihm einen Platz zwischen den Stühlen – zumal er die Kühnheiten der Vorgängergeneration nicht fortsetzt. Vielleicht ist aber alles gar nicht so einfach, wie es aus dem historischen Abstand scheinen mag: Vielleicht hat sich Rheinberger doch mit der Musik seiner unmittelbaren Zeit auseinandergesetzt? Möglicherweise kam er bei seinen Überlegungen, wie Neue Musik im ausgehenden 19. Jahrhundert auszusehen habe, einfach zu einem anderen Ergebnis.

Komponisten im letzten Drittels des 19. Jahrhunderts befanden sich in einer Situation, die der ihrer Kollegen im folgenden Jahrhundert gar nicht einmal so unähnlich war. Wer um 1880 neue Musik schreiben wollte, der sah sich mit einer Fülle von Möglichkeiten konfrontiert: er konnte den von Wagner und Liszt beschrittenen Weg weitergehen und die Grenzen der Tonalität erforschen (Schönberg, Zemlinsky). Er konnte in seiner Musik Sphären verbinden, die bislang als unvereinbar gegolten hatten: so wie Gustav Mahler, der in seiner ersten Symphonie eine Klezmer-Kapelle auftreten ließ – oder Johann Strauß, der seinen Walzern wahre symphonische Dichtungen „en miniature“ als Einleitung angedeihen ließ und im „Kaiserwalzer“ bis in Tristanregionen vorstieß. Oder erschuf sich selbst als Gesamtkunstwerk – wie der „Gottesnarr“ Anton Bruckner, der seine ersten Werke noch geistlichen Herren widmete, die siebte Symphonie Richard Wagner, die achte dem Kaiser und die neunte dem lieben Gott. Auch das 20. Jahrhundert kennt seine Gottesnarren und Experimentatoren, seine Synthetisten und durchgeknallten Monomanen – wer dabei an Arvo Pärt, Pierre Boulez, Bernd Alois Zimmermann und Karl-Heinz Stockhausen denkt, liegt sicherlich nicht daneben.

In einer solchen Gruppe nimmt Rheinberger einen Platz ein, wie ihn heute vielleicht Wolfgang Rihm oder Moritz Eggert besetzen. Ein Komponist, dem das in Experimenten gewonnene Material genügt und der daraus Neue Musik formt, deren Modernität sich nicht in der Wahl des Ausgangsmaterials , sondern in anderen Parametern ablesen lässt. Und die ausreichend in der Praxis verwurzelt sind, um zu wissen, „was geht“ – und ihre Musik immer auf eine mögliche Aufführung hin konzipieren.

Was dies für Rheinberger bedeutet, lässt sich an seinem 1874 komponierten Streichquartett a-moll und den Variationen für Streichquintett nachvollziehen. In den beiden Werken verbinden sich Klangdichte und Variationskunst, die in der Nachfolge Schumanns und Mendelssohns gesehen werden können, mit Rheinbergers Sinn für klar abgesteckte Satzbildung und gediegene kontrapunktische Arbeit. Rheinbergers Gespür für die innere Dramatik eines Werkes, für den ökonomischen Umgang mit dem Material und nicht zuletzt für kompositorisches Timing ist dabei beeindruckend: Kaum ein Takt, der nicht an seiner richtigen Stelle wäre. Dabei tritt zugleich eine emotionale Distanz zutage, die sicher nicht nur einer mangelnden emotionalen Tiefe des Menschen Rheinbergers geschuldet ist, sondern sicherlich auch (bewusste) Reaktion auf das narkotische Gift der wagner’schen Musikdramen darstellt. Was hätte auch noch kommen sollen, nachdem die „Walküre“ (aus der Rheinberger kurioserweise im Finale des Quartetts einige Takte zitiert) bereits das Motiv einer inzestuösen Liebesbeziehung auf die Bühne gebracht hatte und in einer wilden Orchesterorgie gefeiert hatte? Gerade in seiner Verweigerungshaltung und der Rückbesinnung auf ein „l’art pour l’art“ erweist sich Rheinberger als ein aufrechter Erneuerer, der mit seiner „objektiven Musik“ sogar noch Einfluss auf Hindemith ausübte.


Josef Gabriel Rheinberger
Streichquintett in a-moll op. 82
Herausgegeben von Werner Aderhold
Carus Verlag
Partitur und Stimmen CV 50 082
EUR 29,90


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