Die Werke der großen Komponisten sind bloße Zerrbilder dessen, was sie getan hätten, wenn sie gedurft hätten. Erst Beethoven hat gewagt so zu komponieren, wie er wollte: auch darin steckt seine Einzigkeit. Und es ist vielleicht das Unglück der nachfolgenden Romantik, daß sie die Spannung von Erlaubtem und Gemeintem nicht mehr hat: Ort der Schwäche. Sie träumen nur noch was sie dürfen.
Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik
Als Ludwig van Beethoven seine ersten Streichquartette
schrieb, konnte diese musikalische Spezies bereits auf eine zwar kurze, jedoch
umso stürmischere Geschichte zurückblicken. Und wie alle großen
Errungenschaften der Menschheit wurde auch das Streichquartett gleich zwei Mal
an unterschiedlichen Orten erfunden: von Luigi Boccherini in Mailand, der 1761
sein erstes Streichquartett vorlegte und von Joseph Haydn, der sich Ende der
1750er Jahre anschickte, das Cello aus seiner angestammten Rolle als
„Continuo-Knecht“ zu befreien. Um 1770 herum definierte der Eisenstädter
Hofkapellmeister die klassische viersätzige Form und verlieh ihr in seinen
Quartetten op. 9, op. 17 und op. 20 Ausdruck: Jeweils sechs Quartette werden zu
einer Werkgruppe zusammengeschlossen, mindestens eines davon steht dabei in
Moll (oft das vierte). Mit Haydns abgeklärt-rationalen Quartetten op. 33 ist
der Siedepunkt erreicht und wird zugleich die entscheidende Wende eingeläutet,
die es Beethoven erst ermöglicht, den Weg des Streichquartetts fortzuschreiten.
An die Stelle empfindsam-ausdrucksvollem Stürmen und Drängens tritt ein
Komponieren mit Tönen, das keiner äußeren Bilder und Affekte mehr bedarf.
Mozart reagiert als einer der ersten auf diese dramatische Wende und widmet
Haydn seine nächsten sechs Quartette. Von nun an schreibt nicht mehr ein
Dienstleister für einen Markt, sondern der Kenner für einen anderen. Ob das
Publikum mit der rasanten Entwicklung Schritt halten kann – diese Frage stellt
sich zwar nach wie vor, sie zu erklären ist aber nunmehr Aufgabe der
Rezensenten in den zahllosen Musikzeitschriften, die gegen Ende des 18.
Jahrhunderts in ganz Europa gegründet werden.
Als im Sommer 1801 Beethovens erste Quartette op. 18 im
Druck erscheinen, heißt es auch prompt in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung
vom 26. August desselben Jahres: „Die Quartette geben einen vollgültigen Beweis für seine Kunst, doch
müssen sie öfter gespielt werden, da sie sehr schwer auszuführen und keineswegs
populär sind“.
Noch etwas hat sich
verändert: Hier schreibt nicht nur ein „Kenner für einen anderen“, hier
schreibt bereits ein Komponist, der im Gegensatz zu Mozart und Haydn weder
einen geistlichen noch einen weltlichen Fürsten über sich weiß, und auch nicht
für ein Publikum von Subskribenten, nach dessen Geschmack er sich in möglichst
genialer Weise richten muss; Beethoven komponiert, von den Verlagen hofiert und
von vermögenden Gönnern gestützt, wie „der Geist über ihn kommt“.
So sind auch diese sechs Quartette op. 18 zu verstehen, die
der Bärenreiter Verlag nun in der Ausgabe von Jonathan del Mar vorlegt, dessen
Augenmerk nach dem Abschluss der ersten (!) vollständigen (!!) Urtext-Ausgabe
der neun Symphonien nun auf de Kammermusikwerk liegt. Wie bei den Symphonien
steht auch hier der Wunsch im Vordergrund, dem Musiker so viel Informationen
wie möglich an die Hand zu geben, um ihm das eigene Abwägen zu erleichtern. Das
beginnt mit dem Vorwort, das sich ausführlichst mit Quellenlage, Lesarten und
Überlieferung beschäftigt und hört mit dem umfangreichen Kritischen Bericht
nicht auf, der in diesem Fall ein eigenes Heft umfasst. Dass sich dieser trotz
hoher Informationsdichte immer noch flüssig lesen lässt, ist ein weiterer
Pluspunkt dieser Ausgabe. Beinahe eine Selbstverständlichkeit, dass auch
Druckbild und Papierqualität keine Wünsche übrig lassen.
Ludwig van Beethoven
Streichquartette op. 18
Herausgegeben von Jonathan del Mar
Bärenreiter Urtext
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