Montag, 12. August 2013

Ludwig van Beethoven, Streichquartette op. 18 (Bärenreiter)



Die Werke der großen Komponisten sind bloße Zerrbilder dessen, was sie getan hätten, wenn sie gedurft hätten. Erst Beethoven hat gewagt so zu komponieren, wie er wollte: auch darin steckt seine Einzigkeit. Und es ist vielleicht das Unglück der nachfolgenden Romantik, daß sie die Spannung von Erlaubtem und Gemeintem nicht mehr hat: Ort der Schwäche. Sie träumen nur noch was sie dürfen.

Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik


Als Ludwig van Beethoven seine ersten Streichquartette schrieb, konnte diese musikalische Spezies bereits auf eine zwar kurze, jedoch umso stürmischere Geschichte zurückblicken. Und wie alle großen Errungenschaften der Menschheit wurde auch das Streichquartett gleich zwei Mal an unterschiedlichen Orten erfunden: von Luigi Boccherini in Mailand, der 1761 sein erstes Streichquartett vorlegte und von Joseph Haydn, der sich Ende der 1750er Jahre anschickte, das Cello aus seiner angestammten Rolle als „Continuo-Knecht“ zu befreien. Um 1770 herum definierte der Eisenstädter Hofkapellmeister die klassische viersätzige Form und verlieh ihr in seinen Quartetten op. 9, op. 17 und op. 20 Ausdruck: Jeweils sechs Quartette werden zu einer Werkgruppe zusammengeschlossen, mindestens eines davon steht dabei in Moll (oft das vierte). Mit Haydns abgeklärt-rationalen Quartetten op. 33 ist der Siedepunkt erreicht und wird zugleich die entscheidende Wende eingeläutet, die es Beethoven erst ermöglicht, den Weg des Streichquartetts fortzuschreiten. An die Stelle empfindsam-ausdrucksvollem Stürmen und Drängens tritt ein Komponieren mit Tönen, das keiner äußeren Bilder und Affekte mehr bedarf. Mozart reagiert als einer der ersten auf diese dramatische Wende und widmet Haydn seine nächsten sechs Quartette. Von nun an schreibt nicht mehr ein Dienstleister für einen Markt, sondern der Kenner für einen anderen. Ob das Publikum mit der rasanten Entwicklung Schritt halten kann – diese Frage stellt sich zwar nach wie vor, sie zu erklären ist aber nunmehr Aufgabe der Rezensenten in den zahllosen Musikzeitschriften, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Europa gegründet werden.
Als im Sommer 1801 Beethovens erste Quartette op. 18 im Druck erscheinen, heißt es auch prompt in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 26. August desselben Jahres: „Die Quartette geben einen  vollgültigen Beweis für seine Kunst, doch müssen sie öfter gespielt werden, da sie sehr schwer auszuführen und keineswegs populär sind“.

 Noch etwas hat sich verändert: Hier schreibt nicht nur ein „Kenner für einen anderen“, hier schreibt bereits ein Komponist, der im Gegensatz zu Mozart und Haydn weder einen geistlichen noch einen weltlichen Fürsten über sich weiß, und auch nicht für ein Publikum von Subskribenten, nach dessen Geschmack er sich in möglichst genialer Weise richten muss; Beethoven komponiert, von den Verlagen hofiert und von vermögenden Gönnern gestützt, wie „der Geist über ihn kommt“.
So sind auch diese sechs Quartette op. 18 zu verstehen, die der Bärenreiter Verlag nun in der Ausgabe von Jonathan del Mar vorlegt, dessen Augenmerk nach dem Abschluss der ersten (!) vollständigen (!!) Urtext-Ausgabe der neun Symphonien nun auf de Kammermusikwerk liegt. Wie bei den Symphonien steht auch hier der Wunsch im Vordergrund, dem Musiker so viel Informationen wie möglich an die Hand zu geben, um ihm das eigene Abwägen zu erleichtern. Das beginnt mit dem Vorwort, das sich ausführlichst mit Quellenlage, Lesarten und Überlieferung beschäftigt und hört mit dem umfangreichen Kritischen Bericht nicht auf, der in diesem Fall ein eigenes Heft umfasst. Dass sich dieser trotz hoher Informationsdichte immer noch flüssig lesen lässt, ist ein weiterer Pluspunkt dieser Ausgabe. Beinahe eine Selbstverständlichkeit, dass auch Druckbild und Papierqualität keine Wünsche übrig lassen.


Ludwig van Beethoven
Streichquartette op. 18
Herausgegeben von Jonathan del Mar
Bärenreiter Urtext



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