„Einmal wurde Joachim zum Besuch erwartet. Schumann schlug uns in
heiterer Stimmung vor, gemeinschaftliche eine Violinsonate zu componiren.
Joachim sollte dann errathen, von wem jeder Satz wäre.
Albert Dietrich (1829-1908)
Noch immer steht Robert Schumanns letzte Violinsonate im
Schatten ihrer beiden Schwestern, obwohl sie, wie Eduard Melkus 1960 in der
Neuen Zeitschrift für Musik schrieb, „an Bedeutung und Schönheit den bereits
1851 entstandenen Violinsonaten in a-moll op. 105 und d-Moll op. 121 nicht
nachsteht.“ Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen – Robert Schumanns 3.
Violinsonate in a-moll gehört zum Schönsten und Bedeutendsten, was dieser vor
seiner Krankheit noch komponiert hat. Nach
seinem Tod jedoch geriet sie rasch in Vergessenheit und teilt somit das
Schicksal beinahe des gesamten Schumannschen Spätwerks. Doch wie konnte es dazu
kommen?
Vielleicht liegt der Grund dafür darin, dass diese Sonate
ursprünglich als freundschaftliches Gemeinschaftswerk dreier Komponisten
entstanden ist (Albert Dietrich, Johannes Brahms und Robert Schumann) die damit
einen vierten (den Geiger Joseph Joachim) einen kleinen Willkommensgruß
darbieten wollten. In dieser Form ist sie übrigens im vorliegenden Band
ebenfalls enthalten und bietet einen faszinierenden Einblick in das, was drei
komponierende Freunde im Oktober 1853 zwei Wochen lang beschäftigt hat. Für den
ersten Satz war Albert Dietrich zuständig , der ein Schüler Schumanns war
(dessen „Märchenerzählungen“ ihm gewidmet sind) und er hat sich dieser Aufgabe
gar nicht einmal schlecht entledigt. Einige satztechnische Ungeschicklichkeiten
wird man dem 24-Jährigen noch verzeihen und dass sich sein Klaviersatz nicht so
flüssig spielt wie die seiner beiden Kollegen… nun ja. Er hatte nun aber auch
Pech mit der Auswahl seiner Mitautoren – gegen das Genie des (vier Jahre
jüngeren) Johannes Brahms und die Erfahrung Schumanns hätte wohl kaum ein
anderer Komponist eine Chance gehabt. 1935 ist die „F.A.E“.-Sonate der drei
Freunde (der Titel leitet sich bekanntlich von Joachims Lebensmotto „frei, aber
einsam“ ab) erstmals veröffentlicht worden – aus dem Status einer Kuriosität
scheint sie jedoch niemals recht herausgetreten zu sein.
Der Ruch des „Zufälligen“ und „Kuriosen“ scheint auch auf
Robert Schumanns 3. Violinsonate abgefärbt zu haben. Zwar ersetzte dieser die
beiden nicht von ihm komponierten Sätze durch eigene Erfindungen und in dieser
Form wurde das Werk bis zu Schumanns Einlieferung in die Nervenheilanstalt auch
verschiedentlich im privaten Rahmen musiziert. Doch gegenüber der
Öffentlichkeit wollte man die 3. Sonate ebenso wie andere Werke aus Schumanns
Spätphase verschweigen, offenbar auf Druck von Clara, deren Motive noch immer
rätselhaft erscheinen. Erst 1956 – als sich Robert Schumanns Tod zum
hundertsten Mal jährte – erschien die Sonate auf der Grundlage der autographen
Klavierpartitur der F.A.E.-Sonate und dem Arbeitsmanuskript der
nachkomponierten Sätze bei Schott & Co.Ltd. in London.
Ein halbes Jahrhundert später scheint sich Schumanns 3.
Sonate noch immer nicht recht durchgesetzt zu haben. Diesen Zustand zu ändern
und ein wunderschönes Werk der Vergessenheit zu entreissen, ist das erklärte
Ziel der vorliegenden Ausgabe. Die Wiener Urtext-Ausgabe geht dabei wie gewohnt
sehr gründlich vor und bietet nicht nur den vollständigen Text der Schumann-Sonate,
sondern auch die vorausgegangene „F.A.E.-Sonate“ mit den Sätzen von Dietrich
und Brahms. Ein lesenswertes Vorwort informiert nicht nur über die
Entstehungsgeschichte des Werkes; die Aufführungshinweise von Christiane
Edinger (Violine) und Peter Roggenkamp (Klavier) liefern auf knappem Raum
erhebliche Denkanstöße und erhellende Hinweise. Ein großzügig bemessener
Kritischer Bericht unterstreicht den wissenschaftlichen Anspruch dieser Ausgabe
– die freilich auch einen entscheidenden Nachteil aufweist: der im Vergleich zu
anderen Ausgaben bei der Wiener Urtext traditionell größere Stich und der
luftige Satz bedingen ein häufiges Umblättern – und nicht immer finden sich
passende Wendestellen.
Robert Schumann
Sonaten für Violine und Klavier, Band 2
Herausgegeben von Ute Bär
Fingersätze und Hinweise zur Interpretation von
Christiane Edinger (Violine) und Peter Roggenkamp (Klavier)
Wiener Urtext Edition
UT 50238
EUR 24,95
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