Montag, 12. August 2013

Thomas Larcher, Cold Farmer für Streichquartett




„Für mich war die Komposition des Streichquartetts Cold Farmer im Jahr 1990 ein befreiender Aufbruch: Ich riss mich von Atonalität, Serialismus etc. los und sprang in das mir wohlbekannte Wasser von Puls, Tonalität etc. … Es war wie wenn man nackt auf einer Eisfläche steht und dabei ist zu erfrieren … und man findet ein Loch im Eis und springt ins kalte Wasser, welches unter dem Eis ist … dieses Gefühl, der rasende Puls, diese Intensität machen Cold Farmer aus …“

Thomas Larcher

Jetzt wissen wir also, wie der 1963 geborene Thomas Larcher wohl seine Winterferien im heimatlichen Innsbruck verbracht hat – nackt und frierend auf der Eisfläche des Inn unterhalb der alten Steinbrücke stehend und verzweifelt nach einem Loch im Eis suchend, um sich mittels einer Schocktherapie im eiskalten Wasser aufzuwärmen. Aber ernsthaft: Für mich ist „Cold Farmer“ eines der spannendsten und zugleich publikumswirksamsten Kammermusikwerke, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Dazu später mehr.

Seine Karriere als Komponist hat er verhältnismäßig spät gestartet – eigentlich hat sich der 1963 in Innsbruck geborene Thomas Larcher einen Namen als Pianist und Spezialist für Neue Musik gemacht. Die Beschäftigung mit der produktiven Seite des Genres trat erst später hinzu – vielleicht eine Folge intensiver Zusammenarbeit mit Komponisten und Komponistinnen wie Friedrich Cerha, Heinz Holliger, Isabel Mundry oder Johannes Maria Staud. Inzwischen nimmt das Komponieren einen gewichtigen Platz in Larchers Leben ein – zum Glück, möchte man sagen.

„Cold Farmer“ beginnt energiegeladen und pulsierend wie ein „Pattern“ aus der Hochzeit des „modern jazz“. Der stetige Wechsel zwischen 5/16- und 3/8-Takt („mit groove“) erzeugt bald eine hypnotische Wirkung, die durch die Beschränkung auf zwei Arpeggiato-Akkorde (a-moll/gis-moll) noch verstärkt wird. Nach wenigen Takten verdichten die beiden übrigen Spieler das Klanggewebe, das zunächst von erster Geige und Bratsche gesponnen wird, verstärken es oder fügen Akzentverschiebungen hinzu, die dem gesamten Satz über 150 Takte eine schwebende Wirkung und eine geradezu unerträgliche Spannung verleihen, die sich schließlich in gewaltigen Eruptionen entlädt. Was sich mit Satztechniken des Minimalismus anstellen lässt, wenn ein Könner am Werk ist – hier erweist es sich eindrucksvoll.

Ein ebenso effektvoller wie lapidarer Übergang leitet den langsamen Mittelsatz ein. Es ist eine Nachtstudie, deren harmonisches Material vor allem aus zu Drei- und Vierklängen verbundenen Terzschichtungen besteht, über die sich ein Gespinst seriell anmutender Riffs legt. Dem Violoncello kommt vor allem in de ersten Hälfte die Rolle des Pulsgebers zu: Auf seinem (pizzicato zu spielenden) tiefen C ruht das harmonische Fundament der Oberstimmen, bevor im zweiten Teil des langsamen Satzes noch einmal die nervöse Unruhe des Kopfsatzes einbricht.

Der dritte Satz ist ein von Doppel- und Tripelgriffen strotzendes Scherzo, das die meditative Ruhe des vorangegangenen Satzes augenblicklich zerstört wie ein mit 300 km/h durch das Emsland rauschender ICE.  Noch einmal feiert Larchers Vorliebe für komplexe Rhythmen und effektvolle Klangmischung wahre Orgien: Kaum ein Takt, der nicht eine spezielle Spielanweisung trüge, mit dem Ziel, dem Klangkörper Streichquartett weitere und noch feinere Nuancen abzulauschen.

Dem dissonanten und spannungsgeladenen Schlussakkord (dreifaches forte) folgt ein – als eigener Satz bezifferter – Epilog („ganz langsam, sehr frei) von siebzehn Takten, in dem noch einmal motivisches Material der ersten beiden Sätze zitiert wird, bevor das etwa fünfzehnminütige Werk in reinem cis-moll endet.
  
„Cold Farmer“ ist auf Larchers zweiter Porträt-CD beim Label ECM ebenso zu hören wie das bereits bei Schott erhältliche Werk „Mumien“ für Violoncello und Klavier.


Thomas Larcher
Cold Farmer
Streichquartett
Edition Schott
ED 9968



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