„Für mich war
die Komposition des Streichquartetts Cold Farmer im Jahr 1990 ein befreiender
Aufbruch: Ich riss mich von Atonalität, Serialismus etc. los und sprang in das
mir wohlbekannte Wasser von Puls, Tonalität etc. … Es war wie wenn man nackt
auf einer Eisfläche steht und dabei ist zu erfrieren … und man findet ein Loch
im Eis und springt ins kalte Wasser, welches unter dem Eis ist … dieses Gefühl,
der rasende Puls, diese Intensität machen Cold Farmer aus …“
Thomas
Larcher
Jetzt wissen wir also,
wie der 1963 geborene Thomas Larcher wohl seine Winterferien im heimatlichen
Innsbruck verbracht hat – nackt und frierend auf der Eisfläche des Inn
unterhalb der alten Steinbrücke stehend und verzweifelt nach einem Loch im Eis
suchend, um sich mittels einer Schocktherapie im eiskalten Wasser aufzuwärmen. Aber
ernsthaft: Für mich ist „Cold Farmer“ eines der spannendsten und zugleich
publikumswirksamsten Kammermusikwerke, die ich in den letzten Jahren gehört
habe. Dazu später mehr.
Seine Karriere als
Komponist hat er verhältnismäßig spät gestartet – eigentlich hat sich der 1963
in Innsbruck geborene Thomas Larcher einen Namen als Pianist und Spezialist für
Neue Musik gemacht. Die Beschäftigung mit der produktiven Seite des Genres trat
erst später hinzu – vielleicht eine Folge intensiver Zusammenarbeit mit Komponisten
und Komponistinnen wie Friedrich Cerha, Heinz Holliger, Isabel Mundry oder
Johannes Maria Staud. Inzwischen nimmt das Komponieren einen gewichtigen Platz
in Larchers Leben ein – zum Glück, möchte man sagen.
„Cold Farmer“ beginnt energiegeladen und pulsierend wie
ein „Pattern“ aus der Hochzeit des „modern jazz“. Der stetige Wechsel zwischen
5/16- und 3/8-Takt („mit groove“) erzeugt bald eine hypnotische Wirkung, die durch
die Beschränkung auf zwei Arpeggiato-Akkorde (a-moll/gis-moll) noch verstärkt
wird. Nach wenigen Takten verdichten die beiden übrigen Spieler das
Klanggewebe, das zunächst von erster Geige und Bratsche gesponnen wird, verstärken
es oder fügen Akzentverschiebungen hinzu, die dem gesamten Satz über 150 Takte
eine schwebende Wirkung und eine geradezu unerträgliche Spannung verleihen, die
sich schließlich in gewaltigen Eruptionen entlädt. Was sich mit Satztechniken
des Minimalismus anstellen lässt, wenn ein Könner am Werk ist – hier erweist es
sich eindrucksvoll.
Ein ebenso effektvoller wie lapidarer Übergang leitet den
langsamen Mittelsatz ein. Es ist eine Nachtstudie, deren harmonisches Material
vor allem aus zu Drei- und Vierklängen verbundenen Terzschichtungen besteht,
über die sich ein Gespinst seriell anmutender Riffs legt. Dem Violoncello kommt
vor allem in de ersten Hälfte die Rolle des Pulsgebers zu: Auf seinem
(pizzicato zu spielenden) tiefen C ruht das harmonische Fundament der
Oberstimmen, bevor im zweiten Teil des langsamen Satzes noch einmal die nervöse
Unruhe des Kopfsatzes einbricht.
Der dritte Satz ist ein von Doppel- und Tripelgriffen
strotzendes Scherzo, das die meditative Ruhe des vorangegangenen Satzes augenblicklich
zerstört wie ein mit 300 km/h durch das Emsland rauschender ICE. Noch einmal feiert Larchers Vorliebe für
komplexe Rhythmen und effektvolle Klangmischung wahre Orgien: Kaum ein Takt,
der nicht eine spezielle Spielanweisung trüge, mit dem Ziel, dem Klangkörper
Streichquartett weitere und noch feinere Nuancen abzulauschen.
Dem dissonanten und spannungsgeladenen Schlussakkord
(dreifaches forte) folgt ein – als eigener Satz bezifferter – Epilog („ganz
langsam, sehr frei) von siebzehn Takten, in dem noch einmal motivisches
Material der ersten beiden Sätze zitiert wird, bevor das etwa fünfzehnminütige
Werk in reinem cis-moll endet.
„Cold Farmer“ ist auf Larchers zweiter Porträt-CD beim Label ECM ebenso zu hören wie das bereits bei Schott erhältliche Werk „Mumien“ für Violoncello und Klavier.
Thomas Larcher
Cold Farmer
Streichquartett
Edition Schott
ED 9968
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