Man kann nicht sagen, dass die Musik Hans Pfitzners aus
den Programmen heutiger Konzertveranstalter verschwunden sei. Aber es doch
ruhig geworden um den (nach eigener Einschätzung) bedeutendsten deutschen
Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ein Blick ins Bühnenjahrbuch offenbart: das
einst beliebte Klavierkonzert wird kaum noch gespielt, die Opern „Die Rose vom
Liebesgarten“ und „Palestrina“ kommen nur noch in wenigen Theatern zur
Aufführung und auch um die Kammermusik ist es nicht gut bestellt. Die Gründe
dafür mögen zum einen in der Persönlichkeit des Komponisten selbst liegen, den
man ohne Übertreibung als „schwierigen Patienten“ bezeichnen darf. Dass er sich
zwischen 1933 und 1945 den Nazis andiente, wo er nur konnte, hat man ihm –
anders als etwa dem zweifachen NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan, dem
Reichsmusikkammerpräsidenten Richard Strauss und dem Goebbels-Freund Franz
Lehar – auch nicht so recht verzeihen wollen. Zum anderen wuchs in den
fünfziger Jahren eine neue Generation von Musikern heran, deren in Darmstadt
und Donaueschingen geschulte Ohren nicht mehr so recht an das tiefempfundene
Pathos der deutschen Postromantik glauben wollten. Für sie war Hans Pfitzner so
etwas wie der ungeliebte Großonkel aus dem Dritten Reich: ein musikalischer
„Herrenreiter“, natürlich Antisemit und Nationalist, der seine stinkenden
Zigarren sogar im Konzertsaal paffte, chronisch schlecht gelaunt war und seine eigene
Mittelmäßigkeit durch ätzenden Zynismus und vollkommen ungerechtfertigte
Überheblichkeit gegenüber seine komponierenden Kollegen kompensieren musste.
Eigentlich eine arme Sau, die aber trotzdem niemand gerne zum Patenonkel hätte
haben wollen.
Vielleicht musste Pfitzners Musik tatsächlich ein paar
Jahrzehnte ruhen, um von einer neuen Musikergeneration wiederentdeckt zu
werden. Möglicherweise bedurfte es einer neuen Generation von Musikern, deren
Musikverständnis vom analytischen Blick der historischen Aufführungspraxis
geschärft worden war, um Hans Pfitzner als einen Komponisten zu erkennen,
dessen Musik uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Und da die Inszenierung
einer Oper oder die Aufführung eines seiner großen Orchesterwerke an den wie
üblich knapp bemessenen finanziellen Ressourcen scheitern dürfte, stehen die
Chancen für Pfitzners Kammermusik gar nicht schlecht.
Zum Beispiel für das Klavierquintett C-Dur op. 23, das
nun in einem revidierten Nachdruck der Erstausgabe von 1908 in der Edition
Peters erschienen ist. Entstanden ist es im Jahr des Erstdrucks zu Beginn von
Pfitzners außerordentlich fruchtbaren Straßburger Zeit und stellt nicht nur in
seinem eigenen Schaffen einen besonderen Höhepunkt dar, sondern zählte auch
lange Zeit zu den wichtigsten und meist gespielten Werken des Genres. Dabei war
die Uraufführung am 17. November (die Pfitzner selbst mit dem legendären
Rosé-Quartett spielte) alles andere als ein durchschlagender Erfolg; die
professionelle Kritik bemängelte, der Komponist verrenne sich „zu sehr in
harmonische Tifteleien und Fantastereien, die abschrecken“. Ein anderer
Rezensent meinte gar, das Werk gegen sein Publikum in Schutz nehmen zu müssen:
„Denjenigen, die während der Vorführung lachten und hinterher zischten, scheint
es nicht aufgegangen zu sein, daß dem hohen Ernste des Tonsetzers und seinem
bedeutendsten Können in jedem Fall große Achtung entgegenzubringen ist“.
Was ist es also, das Pfitzners C-Dur-Quintett für die
Zeitgenossen so befremdlich erscheinen ließ – und das es für uns womöglich
gerade interessant macht? Was Publikum und Kritik erschien: die eigenwillige
Verfügung über ein Arsenal romantischer Stilmittel, welche der Komponist wie in
einem Kaleidoskop zu unerwarteten und sich beständig verändernden Abfolgen
anordnet. Der plötzliche Wechsel von frei strömendem Genius und eigenartig
zögernden Passagen, die Mischung von strengem Kontrapunkt und
improvisatorischen Passagen. Eine Instrumentierung, die vom
kammermusikalisch-intimen pianissimo bis zur orchestralen Eruption reicht. Eine
reichhaltige Harmonik, die von Schubert bis zum frühen Schönberg ein ganzes
Jahrhundert Revue passieren lässt. All das macht Pfitzner zu einem
postromantischen Komponisten, der die von ihm verwendeten Mittel mit einer sehr
speziellen Mischung aus innerer Bewegtheit und Distanz zusammenfügt. Wo
Schumann und auch Brahms noch ihre eigenen Lebensdramen zu komponieren
schienen, trägt Pfitzner die Maske des „als ob“ – der grandiose Trauermarsch
des langsamen Satzes: Er ist eben nur ein Zitat eines Lebensgefühls. Oder
vielleicht doch nicht?
Hans Pfitzner
Quintett C-Dur für 2 Violinen, Viola, Violoncello und
Klavier, op. 23
Herausgegeben von Johann Peter Vogel
Edition Peters
EP 2923a
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