Otto Valdemar Malling… Hmm, das ist auch wieder ein Name,
den man erst einmal im MGG nachschlägt. Am 1. Juni 1848 in Kopenhagen geboren,
studiert er bei Niels Gade am Konservatorium seiner Heimatstadt und galt schon
recht bald als einer der bedeutendsten Organisten Dänemarks. Mit 36 Jahren
übernahm er die Professur für Musiktheorie, Instrumentation und Komposition in
Kopenhagen und wurde schließlich zu dessen Direktor bestimmt – eine Position,
die er bis zu seinem Tod behielt. Bei
seinen Studenten galt er als strenger Lehrer, war aber wegen seines
leidenschaftlichen Engagement für die Musik weniger gefürchtet als vielmehr
geachtet, auch wenn er sich mit den neuesten Entwicklungen der dänischen
Avantgarde nicht mehr anfreunden konnte. Als er am 5.Oktober 1915 im Alter von
67 Jahren starb, hinterließ er neben einigen Orchesterwerken (darunter eine
Symphonie und ein Klavierkonzert) vor allem Kammermusik, Lieder und zahlreiche
Chorstücke (er hatte zu Beginn seiner Karriere mehrere gute Chöre geleitet) und
wenn diese Werke ebenso wohl geraten sind wie das von Wolfgang Birtel
vorgelegte Streichoktett d-moll aus dem Jahre 1893, so dürfte wohl noch manche
schöne Entdeckung zu machen sein.
Selten habe ich eine Partitur mit so viel Begeisterung
durchgespielt: Mallings musikalische Handschrift ist stark und mit kaum einem
anderen Komponisten seiner Zeit zu verwechseln. Die Vorliebe für archaisierende
Klangelemente (Borduntöne, leittonlose Kadenzen oder die Verwendung gleitender
Sextakkorde) verbindet ihn mit anderen nordeuropäischen Komponisten seiner
Zeit. Mindestens ebenso stark ist jedoch das geistige Band, das ihn mit den
großen französischen Musikern des fin de siecle verbindet: mit Gounod und
Massenet, mehr aber noch mit Gabriel Fauré, dessen Fähigkeit zur durchsichtigen
Instrumentation auch vielstimmigster Passagen er ebenso teilt wie die Vorliebe
für ausgesuchte Harmonien und ungewöhnliche Abweichungen in scheinbar einfachen
Melodieverläufen.
Schon die allerersten Takte des Kopfsatzes (Allegro
apassionato) lassen aufhorchen: Die seltsam zwischen melodischem und dorischen
d-moll schwankende Tonalität des ersten Themas, die raffinert bewegten
Mittelstimmen und ein Bassverlauf, der den gesamten Satz durch die konsequente
Vermeidung von Akkordgrundtönen in der Schwebe hält, bis nach einer groß
angelegten Steigerung endlich im dreizehnten Takt das erste Forte erreicht
wird. Ein choralartiges Seitenthema wird von den Bratschen angeführt – der sich
daraus ergebende Klang weckt Assoziationen an ein Gambenconsort des 17. Jahrhunderts.
Immer wieder gelingt es Malling, die Erwartungen des Hörers spannungsvoll zu
schüren und auf höchst angenehme Weise zu „enttäuschen“ – so geschehen mit dem
Einsatz des 2. Themas: Ein von vielen Stellen, für die die Memory-Funktion bei
CD-Spielern erfunden wurde. Die überlegte Disposition der musikalischen Mittel,
die immer wieder überraschenden Seitenblicke und ein sicherer Instinkt für
Farbwechsel und Schattierungen erweisen Malling als Meister, der keinen
Vergleich mit den Großen seiner Zeit zu scheuen braucht.
Viel wäre noch zu schreiben – über das folkloristische
Scherzo etwa, das mit seiner erweiterten Tonalität bereits an Bartok oder
Kodaly erinnert. Über das in singende Intermezzo mit seinen erlesenen Harmonien
und den immer wieder neuen Farben. Oder über das überschäumende Finale, das der
traditionellen Rondoform durch die Einbeziehung immer wieder neuer Elemente
einen ganz neuen Sinn verleiht. Da hilft eigentlich nur eines: Selber spielen
und hoffen, dass die sich abzeichnende Malling-Renaissance der letzten Jahre
endlich ihre Früchte trägt. Mit diesem Werk besitzt die Kammermusikwelt endlich
wieder ein Streichoktett, das seinen beiden großen Vorläufern von Mendelssohn
und Gade mindestens ebenbürtig ist.
Otto Malling
Oktett für 4 Violinen, 2 Bratschen und 2 Violoncelli
Herausgegeben von Wolfgang Birtel
Edition Dohr
ED 20758
EUR 39,80
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