The way to write
American music is simple. All you have to do is be an American and then write
any kind of music you wish.
Virgil Thompson
„Von Anfang an“, so sagte Lou Harrison einst, „breitete
ich mein Spielzeug auf einer großen Fläche aus.“ Nach Charles Ives, Henry
Cowell und John Cage war der 1917 in Portland (Oregon) geborene Lou Harrison
wohl der letzte der großen Individualisten unter den amerikanischen Komponisten
des 20. Jahrhunderts. Ein genialer Exzentriker, der mit seinem langen und
verwilderten Bart und den verschmitzt dreinblickenden Augen wie die Inkarnation
des leibhaftigen kalifornischen Althippies aussah. Der es bereits in den vierziger
Jahren genoss, seine prüde Umwelt mit offen ausgelebter Homosexualität zu
schockieren und den eine unstillbare Neugierde und die Freude an neuen
künstlerischen Herausforderungen stetig antrieb, etwas Neues zu erproben.
Harrison ließ asiatische Instrumente westliche Musik
spielen – und andersherum. Er war einer der ersten Komponisten, die reine
Schlagzeugstücke schrieben. Er war es aber auch, der Charles Ives' dritte
Symphonie auf der Grundlage eines nicht beachteten Manuskriptes edierte und
1946 deren Uraufführung leitete – für diese Symphonie sollte Ives dann den
Pulitzer-Preis erhalten.
Komponieren reichte ihm nicht: Er schrieb Gedichte,
betätigte sich als Maler und Kalligraph, entwickelte Tonsysteme und erfand
Instrumente. Und natürlich sprach er Esperanto. Sein Orchester erweiterte er um
so originelle Instrumente wie Bremszylinder, Metallrohre, Blumentöpfe und
Mülleimer und kombinierte mittelalterliche Tänze, die barocke Sonatenform,
Rituale der Navaho-Indianer, frühe kalifornische Missionsmusik und koreanische
Hofmusik zu einer Komposition für indonesisches Gamelan-Orchester. Ein ziemlich
schräger Typ also, dessen Musik sich konsequent einer der Hauptforderungen der
Moderne verweigerte – indem sie sich nämlich weitgehend im tonalen und tonikalen
Rahmen bewegte und auch auf großzügige Melodik nicht verzichtet. Selbst
Zwölftonmusik klingt bei Harrison beinahe wie ein Kinderlied.
So auch das hier vorgestellte Klaviertrio aus dem Jahr
1990, das den flüchtigen Spieler zunächst mit einer blendenden Oberflächlichkeit
irritiert, die an die Poolbilder von David Hockney denken lässt. Die scheinbare
Harmlosigkeit in E-Dur mit weit ausschwingenden Themen bleibt jedoch was sie
ist – eine Oberfläche, unter der es gefährlich brodelt.
Mit vier Sätzen folgt das Klaviertrio zunächst einer
weiteren Konvention: Nicht zu überhören ist jedoch eine nervöse Unruhe, die vor
allem die Ecksätze durchzieht. Endlose Achtelketten mit häufigen Taktwechseln
erzeugen eine Maschinenmusik, die ihre hypnotische Kraft erst auf langer
Strecke entfaltet. Bereits der erste Satz lässt Spielern und Hörern auf 209
Takten nicht eine einzige Atempause (Notenbeispiel 1); das beständige „Weiter,
immer weiter“ trägt manische Züge und lässt den einzigen langsamen Triosatz
(der dritte Satz besteht aus drei ausgedehnten Solopassagen der
Instrumentalisten) umso effektvoller in den Vordergrund wirken. Es ist ein
Trauergesang für den verstorbenen Kollegen Virgil Thompson, der mit seinen
drängenden Steigerungen (Notenbeispiel 2) einen romantischen Kontrapunkt setzt.
Drei Soli für jeweils Violine, Violoncello und Klavier
bilden den dritten Satz, der uns in eine Welt entführt und sich von der
sonnendurchfluteten Traurigkeit der übrigen Sätze eigenartig abhebt.
Ein nicht anders als manisch zu bezeichnendes
Klaviermotiv (Notenbeispiel 3) eröffnet das Finale; die Geige setzt ein
volksliedhaft wirkendes Thema dagegen, auf welches das Violoncello mit einem
Choralgesang antwortet, der sich zum Ende hin auch im Klavier durchsetzt, bevor
alle Instrumente sich in einem letzten Aufbäumen zu einem merkwürdig
aphoristischen Schluss aufraffen.
Lou Harrison
Trio für Violine, Violoncello und Klavier
Partitur und Stimmen
Edition Peters EP 67906
EUR 52,80
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