Montag, 12. August 2013

Lou Harrison, Trio für Violine, Violoncello und Klavier


 

The way to write American music is simple. All you have to do is be an American and then write any kind of music you wish.

Virgil Thompson


„Von Anfang an“, so sagte Lou Harrison einst, „breitete ich mein Spielzeug auf einer großen Fläche aus.“ Nach Charles Ives, Henry Cowell und John Cage war der 1917 in Portland (Oregon) geborene Lou Harrison wohl der letzte der großen Individualisten unter den amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ein genialer Exzentriker, der mit seinem langen und verwilderten Bart und den verschmitzt dreinblickenden Augen wie die Inkarnation des leibhaftigen kalifornischen Althippies aussah. Der es bereits in den vierziger Jahren genoss, seine prüde Umwelt mit offen ausgelebter Homosexualität zu schockieren und den eine unstillbare Neugierde und die Freude an neuen künstlerischen Herausforderungen stetig antrieb, etwas Neues zu erproben.

Harrison ließ asiatische Instrumente westliche Musik spielen – und andersherum. Er war einer der ersten Komponisten, die reine Schlagzeugstücke schrieben. Er war es aber auch, der Charles Ives' dritte Symphonie auf der Grundlage eines nicht beachteten Manuskriptes edierte und 1946 deren Uraufführung leitete – für diese Symphonie sollte Ives dann den Pulitzer-Preis erhalten.

Komponieren reichte ihm nicht: Er schrieb Gedichte, betätigte sich als Maler und Kalligraph, entwickelte Tonsysteme und erfand Instrumente. Und natürlich sprach er Esperanto. Sein Orchester erweiterte er um so originelle Instrumente wie Bremszylinder, Metallrohre, Blumentöpfe und Mülleimer und kombinierte mittelalterliche Tänze, die barocke Sonatenform, Rituale der Navaho-Indianer, frühe kalifornische Missionsmusik und koreanische Hofmusik zu einer Komposition für indonesisches Gamelan-Orchester. Ein ziemlich schräger Typ also, dessen Musik sich konsequent einer der Hauptforderungen der Moderne verweigerte – indem sie sich nämlich weitgehend im tonalen und tonikalen Rahmen bewegte und auch auf großzügige Melodik nicht verzichtet. Selbst Zwölftonmusik klingt bei Harrison beinahe wie ein Kinderlied.

So auch das hier vorgestellte Klaviertrio aus dem Jahr 1990, das den flüchtigen Spieler zunächst mit einer blendenden Oberflächlichkeit irritiert, die an die Poolbilder von David Hockney denken lässt. Die scheinbare Harmlosigkeit in E-Dur mit weit ausschwingenden Themen bleibt jedoch was sie ist – eine Oberfläche, unter der es gefährlich brodelt.

Mit vier Sätzen folgt das Klaviertrio zunächst einer weiteren Konvention: Nicht zu überhören ist jedoch eine nervöse Unruhe, die vor allem die Ecksätze durchzieht. Endlose Achtelketten mit häufigen Taktwechseln erzeugen eine Maschinenmusik, die ihre hypnotische Kraft erst auf langer Strecke entfaltet. Bereits der erste Satz lässt Spielern und Hörern auf 209 Takten nicht eine einzige Atempause (Notenbeispiel 1); das beständige „Weiter, immer weiter“ trägt manische Züge und lässt den einzigen langsamen Triosatz (der dritte Satz besteht aus drei ausgedehnten Solopassagen der Instrumentalisten) umso effektvoller in den Vordergrund wirken. Es ist ein Trauergesang für den verstorbenen Kollegen Virgil Thompson, der mit seinen drängenden Steigerungen (Notenbeispiel 2) einen romantischen Kontrapunkt setzt.

Drei Soli für jeweils Violine, Violoncello und Klavier bilden den dritten Satz, der uns in eine Welt entführt und sich von der sonnendurchfluteten Traurigkeit der übrigen Sätze eigenartig abhebt.
Ein nicht anders als manisch zu bezeichnendes Klaviermotiv (Notenbeispiel 3) eröffnet das Finale; die Geige setzt ein volksliedhaft wirkendes Thema dagegen, auf welches das Violoncello mit einem Choralgesang antwortet, der sich zum Ende hin auch im Klavier durchsetzt, bevor alle Instrumente sich in einem letzten Aufbäumen zu einem merkwürdig aphoristischen Schluss aufraffen.  


Lou Harrison
Trio für Violine, Violoncello und Klavier
Partitur und Stimmen
Edition Peters EP 67906
EUR 52,80


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