Lange hat es gedauert, bis sich der Blick der musikalischen Welt vom Zentrum der Musikgeschichte an die Peripherie verlagerte. Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzende Vergewisserung des musikalischen Erbes und die damit verbundene Wiederentdeckung jener Komponisten, die man etwas abschätzig als „Kleinmeister“ bezeichnete. Wer wollte neben Mozart und Haydn, Schumann und Brahms, Wagner und Bach schon bestehen? Inzwischen haben vor allem eine Großzahl hervorragender Aufnahmen sogenannter Spezialisten für „Alte Musik“ dafür gesorgt, dass wir nicht nur die Musik der Großmeister kennen, sondern auch die von Johann Baptist Vanhal, Michael Haydn und den Bachsöhnen Johann Christian und Carl Philipp Emanuel, von Fanny Hensel und Heinrich von Herzogenberg. Wir lesen beispielsweise Telemann neu und erkennen in ihm allmählich den musikalischen Revolutionär, der die große Geste ebenso sicher beherrschte wie Händel, ohne jedoch wie dieser das gleiche Stück sechzig Mal zu schreiben. Ein Kleinmeister?
Vielleicht ist es einfach an der Zeit, der merkwürdig
deutschen Unterscheidung in „große“ und „kleine“ Komponisten endgültig
„Lebewohl“ zu sagen. Wie fragil diese Kategorisierung zu allen Zeiten war,
lässt sich daran ermessen, dass selbst Joseph Haydn lange Zeit nur als
„Nebenmeister“ Mozarts galt – und jener allerhöchstens einmal in der
Jupitersymphonie „beinahe beethoven’sche Höhen“ erreichte.
Ignaz Pleyel studierte bei Vanhal und Haydn, wurde 1777
Kapellmeister beim Grafen Erdödy, 1789 erster Kapellmeister am Straßburger
Münster und 1792 Leiter der „Professional Concerts“ in London. 1795
übersiedelte er nach Paris, wo er eine Musikalienhandlung und 1807 die noch
heute bestehende Klavierfabrik gründete. Er komponierte rund 60 Sinfonien, 60
Streichquartette, zwei Opern (eine davon – die „Fee Urgèle“ – für Marionettentheater), etliche
Kammermusikwerke und natürlich Kirchenmusik –das übliche Pensum eines
Komponisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Was hat uns also Ignaz Pleyel, dessen Geburtstag sich in
diesem Jahr beinahe unbemerkt zum 250. Mal jährt, zu sagen? Eine ganze Menge,
wenn man sich den von Peter Erhart vorgelegten Kammermusikwerken widmet: Wer
ein so perfekt proportioniertes Rondo wie jenes aus dem Quartett in D-Dur zu
schreiben in der Lage ist und dabei so viel Liebe zum überraschenden Detail
verrät, der ist ein Meister aus eigenem Recht und kein Verfertiger
musikalischer Dutzendware. Jeder dieser sechs Sätze ist eine Entdeckung: man staunt
über die Logik und Stringenz, mit der Pleyel seine originellen Themen und
Motive zu immer wieder neuen überraschenden Gesten und Wendungen kombiniert.
Diese Musik wirkt so frisch wie an ihrem ersten Tag und demonstriert
eindrucksvoll, dass nicht nur Haydn und Mozart sich auf die Kunst verstanden,
drei oder vier vernünftige Leute sich miteinander unterhalten zu lassen. Und
wenn Ihnen diese Empfehlung noch nicht reicht, lassen wir einem
zeitgenössischen Kollegen das Schlusswort. 1784 schrieb der ein Jahr ältere
Wolfgang Amadé Mozart seinem Vater über Pleyels Quartette: „Dann sind dermalen
Quartetten heraus von einem gewissen Pleyel; dieser ist ein Scholar von Joseph
Haydn. Wenn sie selbige noch nicht kennen, so suchen Sie sie zu bekommen. Es
ist der Mühe werth. Sie sind sehr gut geschrieben, und sehr angenehm.“
Ignaz Pleyel
Trio in e für 2 Violinen und Violoncello
Herausgegeben von Peter Erhart
Partitur und Stimmen
Doblinger Diletto Musicale DM 1408
EUR 19,90
Quartetto in D für Flöte (Violine), Violine, Viola und
Violoncello
Herausgegeben von Peter Erhart
Partitur
Doblinger
Diletto Musicale DM 1409
EUR 13,90
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