Er ist immer noch der große Unbekannte des Wiener fin de
siecle: Alexander Zemlinsky (1879-1942), Zeitgenosse von Mahler und Schönberg
und zugleich Verbindungsglied zwischen dem „alten“ Wien – das sich in der Musik
eines Johannes Brahms oder Antonin Dvorak spiegelte – und den neuen Klängen,
wie sie in den Werken der sich gerade formierenden Wiener Schule zu hören
waren. Mindestens ebenso sehr wie als Komponist prägte er die nächste
Generation auch als Lehrer am legendären Konservatorium, dem zu seiner Zeit
Komponisten wie Alban Berg und Anton Webern angehörten. Viele seiner Schüler
emigrierten nach dem Anschluss Österreichs
in die USA, wo sie sich – teilweise als verhasste Pflicht, zum Großteil
aber auch aus echter Neigung – als Filmkomponisten verdingten: Franz Wachsmann,
der mit Billy Wilder (auch er ein Wiener Emigrant) zusammenarbeitete, Hans Salter, der die Musik zu unzähligen
Horror-Streifen der 30er Jahre beisteuerte (wobei ihm seine Kenntnisse in neuer
Musik sehr zugute kamen) und schließlich Max Steiner, der spätestens mit seinen
Musiken zu „Casablanca“ und „Vom Winde verweht“ in den Olymp der Filmmusik
aufstieg und zum Vorbild einer ganzen Generation amerikanischer Filmkomponisten
wurde. Es waren vor allem österreichische und deutsche Komponisten, die den
„Hollywood-Sound“ prägten – und nicht wenige waren in Wien Schüler Alexander
Zemlinskys gewesen. Und wenn man genau hinhört, dann findet man auch in seiner
Musik wesentliche Elementes des Filmmusik-Stils des „Goldenen Zeitalters“:
einprägsame und schwärmerische Melodien, klare und eingängige Formen bei
gleichzeitiger Ausbildung eines raffinierten „Arrangements“, das Zemlinskys
Musik ihren ganz eigenen Reiz verleiht. Was beim ersten Eindruck so
selbstverständlich und zuweilen rauschhaft fließt, ist in Wahrheit Ergebnis
genauer Planung.
Dies lässt sich bereits an seiner 1894 komponierten
Cellosonate studieren: das Thema des Kopfsatzes – es könnte von Brahms stammen,
dessen Kammermusik die Sonate nahesteht. Auch Zemlinskys Technik, die
Klavierbegleitung aus dem motivischen Fundus des Cellothemas abzuleiten,
erinnert an den Doyen der Wiener Musikszene. Doch die nonchalante Art, in der
Zemlinsky schon im siebten Takt von H-Dur nach g-moll springt, um von dort aus
ein neues tonales Zentrum zu errichten, leitet einen Zeitsprung ein, der
bereits auf Hindemiths Technik der harmonischen Rückung verweist. Von dort ist
es nur noch ein kleiner Schritt zum freitonalen Komponieren; den Weg seines
Freundes und Schwiegersohns Schönberg ist Zemlinsky freilich nicht mehr
gegangen: Er hat die Tonalität bis an ihre äußersten Grenzen erforscht, sie
jedoch nicht verlassen.
Zemlinsky unterscheidet sich von Brahms jedoch nicht nur
durch harmonische Kühnheiten – sein Konzept, osteuropäische Rhythmen und
Melodiemodelle in seine Musik einzubeziehen, verweist auf ähnliche Versuche
Gustav Mahlers, Ost und West zu einem neuen Ganzen zu verbinden. Das zeigt sich
vor allem im Kopfsatz, der mit „tscherkesisschen“ Klängen die Kultur des
osmanischen Reichs beschwört, die noch im Andante nachzittern und erst im
genialen Finale vertrauten Klängen weicht: Das alt-wienerische Hauptthema löst
sich parodistisch in strengen Kontrapunkt und kakanisches Militärgepränge auf;
das skuril harmonisierte Seitenthema begibt sich in unmittelbare Nähe eines
Antonin Dvoraks, bevor sich der Finaltrubel in einer märchenhaft aufleuchtenden
Coda verliert.
Mit der nun von Antony Beaumont vorgelegten Cellosonate –
die dem Studienfreund und langjährigen Solocellisten der Wiener Philharmoniker,
Friedrich Buxbaum, gewidmet ist – macht Ricordi ein jahrzehntelang als
verschollen geglaubtes und später nur in Abschriften oder Fotokopien des
Manuskripts verbreitetes Meisterwerk der frühen Moderne erstmals einem größeren
Kreis zugänglich. Möge es von hier aus seinen Weg in die Konzertsäle der Welt
finden.
Alexander
Zemlinsky
Sonate in a-moll für Violloncello und Klavier
Ricordi Sy. 5045
Drei Stücke für Violloncello und Klavier
Ricordi Sy. 5046
Herausgegeben von Antony Beaumont
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